Ein Gespräch mit der Musiklegende Quincy Jones über die Giganten Frank Sinatra und Michael Jackson – und über seine harte Kindheit. Ein Interview von Christoph Dallach
ZEITMAGAZIN N° 46/2014 21. NOVEMBER 2014
Im Ritz-Carlton-Hotel in Toronto wird Quincy Jones streng bewacht. In der Lobby, neben dem Fahrstuhl, steht ein ernst dreinblickender Security-Mann. Oben, vor der geschlossenen Tür der Präsidentensuite, sitzen Assistenten mit ihren Laptops auf dem Teppichboden und unterhalten sich flüsternd. Quincy Jones, den alle nur "Q" nennen, ist einer der letzten großen Strippenzieher im Popgeschäft. Interviewer empfängt er nur sehr selten. In seiner Suite thront Q, in einen kupferfarbenen Morgenmantel gehüllt, auf einem breiten Samtsofa, zur Begrüßung lächelt er und reckt die geballte Faust. Er ist bekannt dafür, dass er zwar gern plaudert, aber nur äußerst ungern Fragen beantwortet. Ganz besonders dann, wenn sie mit Michael Jackson zu tun haben. Das Gespräch eröffnet selbstverständlich Q.
Quincy Jones: Ich höre, dass Sie aus Hamburg kommen? Schwören Sie mir, dass Sie noch nie auf der Reeperbahn waren!
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ZEITmagazin: Selbstverständlich, nie im Leben.
Jones: Ich behaupte, dass Sie schwindeln! Ich tippe auf mindestens 200 Reeperbahn-Besuche, geben Sie es zu! Ich jedenfalls war mit 18 mal auf der Reeperbahn, das muss also 1951 gewesen sein. Da war ich in einem Club. Auf der Bühne saß eine Frau in einer Badewanne. Erst war sie mit Schaum bedeckt, aber dann wusch sie sich alles langsam mit Wasser runter. Dazu spielte eine Band. Ich war schockiert – und glücklich. Damals reiste ich mit Lionel Hampton und seiner Band durch Europa. Eine herrliche Zeit war das.
ZEITmagazin: Sie sind immer noch sehr umtriebig: Sie fördern Nachwuchsmusiker, betreiben Musikfirmen, produzieren Filme und geben Konzerte. Dabei könnten Sie Ihre Tage längst auf den schönsten Golfplätzen dieser Welt verbringen. Was treibt Sie heute noch an?
Jones: Sehen Sie, ich bin nun 81 und fühle mich super. Der Reiz meines Alltags liegt in der Kombination: Ich arbeite hart und vergnüge mich härter. Jetzt beantworte ich Ihnen ein paar Fragen, und danach werde ich sehr gut essen, einen exzellenten Wein trinken und eine schöne Frau treffen. Wo ist das Problem? So kann man angenehm alt werden.
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ZEITmagazin: Dabei waren Sie vor 40 Jahren schon mal Gast auf einer Art Trauerfeier für Sie, bei der berühmte Kollegen Abschied von Ihnen nahmen. Bei dieser Veranstaltung sangen Marvin Gaye und Sarah Vaughan, Sidney Poitier war auch dabei. Was war da los?
Jones: Ach, da hatte ich Probleme mit den Blutgefäßen in meinem Gehirn, schlimme Sache. Ich hatte zu viel gearbeitet und meinen Körper überstrapaziert. Zwei Adern waren wirklich sehr angegriffen, es war bedrohlich, und meine Ärzte machten mir wenig Hoffnung. Deshalb wurde auch diese Abschiedsfeier für mich ausgerichtet, was natürlich sehr merkwürdig war. Zum Glück habe ich dann doch noch die Kurve gekriegt. Seitdem halte ich es wie Frank Sinatra, der immer zu mir gesagt hat: "Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter."
ZEITmagazin: Sie sind in einer gefährlichen Gegend von Chicago aufgewachsen. Lernten Sie dort das Überleben?
Jones: Ja, in Chicago wurde ich zum Überlebenskünstler. Ich war jung und wuchs mit jedem Fehltritt. Das Gespür dafür, wie man auf der Straße überleben kann, habe ich auch an meine Kinder weitergegeben, an sechs Töchter und einen Sohn, zwischen 21 und 60. Meine Tochter Rashida zum Beispiel hat gerade in Harvard ihren Abschluss gemacht, sie könnte sich aber auch in jedem Ghetto bestens durchsetzen. "Straße" definiere ich als Realität, und mein Gefühl dafür habe ich trotz aller Erfolge nie verloren. Dafür sind mir alle Haare ausgegangen. Man kann eben nicht alles haben, oder? Waren Sie übrigens schon mal auf Sardinien? Herrlich ist es da! Jedes Jahr fahre ich erst an die Costa Smeralda und dann mit meiner Jacht die Amalfi-Küste rauf und runter. Sardinien, Positano, Portofino, dann Saint-Tropez und Monte Carlo. Ich habe übrigens am selben Tag wie Prinz Albert Geburtstag. Gerade neulich habe ich nett mit seiner Frau Charlène in meinem Haus zu Abend gegessen, eine sehr charmante Frau ...
ZEITmagazin: Lassen Sie uns bitte noch mal auf Ihre Jugend in Chicago zurückkommen ...
Jones: Hier, schauen Sie mal, das sind meine Erinnerungen an meine Kindheit in Chicago. (neigt den Kopf vor und zeigt auf zwei lange Narben, eine an seiner rechten Halsseite, eine auf der rechten Hand) Ich war sieben, hatte mich in die falsche Straße gewagt und die Regeln der Reviere kurz vergessen. Zur Strafe schlitzten sie mir mit einer Rasierklinge den Hals und die Hand auf. Es war nur eine Warnung, und ich merkte sie mir gut. Sehen Sie meine linke Halsseite? (wendet den vorgereckten Kopf und zeigt eine größere Narbe) Da versuchten sie mir einen Eispickel in den Hals zu rammen. Das war dann keine Warnung mehr, sondern sollte endgültig sein. Zum Glück trafen sie nicht so genau. Ich dachte trotzdem, dass ich sterben müsste. Aber mein Vater kam mir zu Hilfe und schlug mit einem Hammer auf die Köpfe der Typen ein. Chicago war damals unvorstellbar gefährlich. Ganz besonders das Viertel, in dem ich groß wurde. Harlem oder Compton waren ein Witz dagegen. Wir sprechen hier von den dreißiger Jahren, der Ära der Depression. In Chicago lebten fünf Millionen Schwarze. Ich wuchs im größten und bedrohlichsten Ghetto der USA auf, und das war nicht lustig. Mir hatten sie ja sogar die Mutter genommen.
ZEITmagazin: Eine tieftraurige Geschichte ...
Jones: Ich erzähle sie Ihnen trotzdem. Denn ich habe das alles noch vor Augen, als sei es gestern geschehen. Mein Bruder und ich schauten zu, wie sie unsere Mutter vor unserem Haus in eine Zwangsjacke steckten und sie schreiend in einen Krankenwagen verfrachteten. Es war unvorstellbar schlimm, schlimm, schlimm. Mein jüngerer Bruder starb innerlich an jenem Tag, weil er den Schock kaum verarbeiten konnte. Ich war alt genug, damit fertigzuwerden, aber nicht weniger verletzt. Wissen Sie, meine Mutter war brillant und intelligent. Sie beherrschte zwölf Sprachen und hatte einen Universitätsabschluss. Dann bekam sie Dementia praecox, eine Form der Schizophrenie. Und so rissen sie meine Mutter aus unserem Leben und brachten sie in eine geschlossene Anstalt. Mein Vater dachte nur praktisch und suchte sich umgehend eine neue Frau. Um es kurz zu machen, sie war kein netter Mensch. Ich besorgte mir dann auf eigene Faust eine neue Mutter, und das war die Musik.
ZEITmagazin: Dämpft Musik die schlimmsten Schmerzen?
Jones: Nein, den Schmerz habe ich mir bis heute bewahrt. Man lernt eher, mit ihm zu leben. Solche radikalen Erfahrungen sind wie ein Gift, das einen ein Leben lang lähmen kann. Wenn man es aber hinbekommt, sich mit seinem Schicksal zu arrangieren, verliert das Gift seine Wirkung, ohne dass die Erinnerung an seinen Ursprung gelöscht wird. Die Musik hat das für mich möglich gemacht, weil ich nie von ihr enttäuscht wurde. Dafür habe ich der Musik aber auch mein Leben gegeben und habe hart gearbeitet, um einen Weg aus Chicago heraus zu finden: Schuhe geputzt, Zigaretten verkauft, Erdbeeren gepflückt. Ich habe jede dieser Tätigkeiten so ernst genommen, dass ich weiterkam im Leben. Eine Weile war ich der beste Schuhputzer Chicagos. Ich hätte in vielen Bereichen Karriere machen können. Aber dann entdeckte ich eben die Musik.
ZEITmagazin: Sie sollen Ihre Liebe zur Musik bei einem Einbruch entdeckt haben. Ist das wirklich wahr?
Quincy Jones und seine damalige Partnerin Nastassja Kinski
Quincy Jones und seine damalige Partnerin Nastassja Kinski © Diane Freed/Getty Images
Jones: So war es. Es war ein Veteranenheim der US-Armee, in das wir eingestiegen waren. Damals war ich Mitglied einer Gruppe von Baby-Gangstern, denn als Kind wollte ich ein Gangster sein. Das war der einzige Beruf, der ein halbwegs einträgliches Leben zu garantieren schien. Aber ich bekam schnell auch eine Ahnung von den Risiken der Branche: Meine Familie musste Chicago Hals über Kopf verlassen, weil mein Vater als Tischler für die Jones-Brüder gearbeitet hatte, die berüchtigtsten schwarzen Gangster in der Geschichte der USA. Allein 1941 hatten die eine Million Dollar verdient. Al Capone passte das nicht, und er vertrieb die Jones-Brüder mit aller Härte aus Chicago. Alle, die für sie gearbeitet hatten, waren auf Al Capones Abschussliste, also auch mein Vater. Der holte mich und meinen Bruder eines Nachmittags ohne weitere Erklärung aus einem Friseursalon ab und machte sich mit uns aus dem Staub. Damit rettete er der Familie das Leben.
ZEITmagazin: Was war denn nun mit diesem Einbruch?
Jones: Ach ja, da landete ich in einem Zimmer, in dem ein Klavier stand. Erst interessierte mich das nicht, und ich ging wieder raus und schloss die Tür hinter mir. Aber dann zog mich irgendetwas wieder dort hinein. Ich stand vor dem Klavier, setzte mich schließlich auf den Schemel und klimperte ein paar Töne. Und das rettete mir dann wohl wirklich das Leben, weil ich von diesem Tag an kein Gangster mehr sein wollte. Danach war ich von Musik infiziert und probierte alle Instrumente aus: Tuba, Saxofon, Xylofon, Waldhorn und Trompete. Ich trat erst der Schulband bei, dann dem Schulchor und landete schließlich als Trompeter bei einer Blaskapelle und war froh, mit heiler Haut der Gangsterwelt entkommen zu sein. Denn das ist ein gefährliches Leben. Das machte ich vor einigen Jahren auch meinem Sohn Quincy III klar, der eine Weile in Gangs auf wilden Mann machte.
ZEITmagazin: Sie waren mit dem Gangsterrapper Tupac Shakur befreundet, der im Alter von 25 Jahren erschossen wurde. Hatten Sie mit ihm viel gemeinsam?
Jones: Ja, wir waren Freunde. Ich hatte sogar vor, einen Film mit ihm und Snoop Dogg zu machen. Es sollte eine Adaption des Buches Pimp von Iceberg Slim sein. Selbstverständlich weiß ich, wo diese Gangsterrapper herkommen, was sie antreibt und fasziniert, weil ich das alles auch erlebt habe. Deshalb hatte ich immer ein besonderes Verständnis für Rap und Hip-Hop. Mein Hip-Hop war der Jazz.
ZEITmagazin: In der Jazzszene gehörte Heroinkonsum lange zum Alltag. Sie sind in dieser Umgebung groß geworden. Wie gingen Sie damit um?
Jones: Ich ließ mich ziemlich genau fünf Monate lang auf Heroin ein, zusammen mit Ray Charles. Aber als ich merkte, dass die Sucht mein Trompetenspiel beeinträchtigte, ließ ich die Finger davon. Vier Tage lang machte ich einen kalten Entzug, und damit war die Sache abgehakt.
ZEITmagazin: Als Musiker waren Sie schon früh erfolgreich.
Jones: Nein, erfolgreich war ich nicht. In der Band von Lionel Hampton bekam ich nur 17 Dollar pro Auftritt.
ZEITmagazin: Aber überhaupt in die Band des legendären Lionel Hampton berufen zu werden – das war doch ein Erfolg, oder?
Jones: Gut, stimmt. Hamptons Band war damals populärer als die Bands von Louis Armstrong, Count Basie oder Duke Ellington. Das war schon toll. Man darf nicht vergessen, dass es Lionel Hampton und Louis Armstrong waren, die eigentlich den Rock ’n’ Roll erfanden. Von wegen Elvis Presley. Den Geist des Rock ’n’ Roll führten die Schwarzen durch den Jazz ein und erschreckten die Weißen damit anfangs gehörig. In Zeitungen wurde davor gewarnt, die animalische Musik der Schwarzen zu hören.
ZEITmagazin: Sie sind als hochbegabter Teenager mit Jazzbands auf Tourneen quer durch die USA gegangen. Wie riskant war das Leben für schwarze Musiker in den Südstaaten?
Jones: In manchen Clubs in Carolina betrug der Eintritt für Schwarze drei Dollar, für weiße Zuschauer einen Dollar. Die Weißen saßen dann oben, tranken was und begafften die Schwarzen unter ihnen. Wir reisten im Bus durch die USA und waren meistens so um die dreißig Musiker, alle schwarz, nur der Fahrer war immer ein Weißer – weil Farbige an vielen Orten nichts zu essen bekamen. Wenn wir nicht aus dem Bus durften, konnte immerhin unser Fahrer etwas einkaufen und es uns bringen. In Hotels ließen sie uns oft auch nur durch die Hintertür hinein, manchmal auch gar nicht. Ich lernte früh, an den unglaublichsten Orten zu schlafen.
ZEITmagaziner Rassismus ist offenbar noch lange nicht Geschichte. Wenn Sie heute von rassistischen Vorfällen hören – erschüttert Sie so etwas?
Jones: Ach was, so etwas gehört doch für uns zum Alltag. In den USA hat es schon immer Rassismus gegeben. Und ich sehe nicht, wie sich das so bald ändern sollte. Denn Rassismus ist Teil des Fundaments, auf dem die Vereinigten Staaten aufgebaut wurden. Man darf sich da keinen Illusionen hingeben.
ZEITmagazin: Sie sagten mal, dass Frank Sinatra die Rassentrennung in Las Vegas beendet habe. Wie hat er das denn geschafft?
Jones: Als ich zum ersten Mal das Sands betrat, Sinatras liebstes Hotel und Kasino in Las Vegas, bat er mich zu sich und stellte mir meinen Bodyguard vor, einen kahlköpfigen Serben. Sinatra wollte damit sicherstellen, dass ich in diesem Hotel meine Ruhe habe. Lange war es Stars wie Harry Belafonte oder Lena Horne in Las Vegas verboten, ein Kasino zu betreten, außer wenn sie dort auftraten. Dann durften sie nach ihrem Konzert aber nur in der Küche mit dem Personal essen. Sie bekamen 17.000 Dollar Gage für einen Auftritt, mussten aber irgendwo außerhalb der Stadt in einem Hotel für Schwarze schlafen. Das war noch 1964 so. Indem Sinatra mich, Count Basie oder Sammy Davis Jr. gleichberechtigt in sein Kasino einführte, beendete er die Rassentrennung dort. Er setzte Maßstäbe, ohne viel Wirbel darum zu machen.
ZEITmagazin: Frank Sinatra galt als recht schwierige Persönlichkeit. Sie haben lange mit ihm zusammengearbeitet. Warum ging das so lange gut?
Jones: Sinatra war nicht kompliziert. Es war ganz simpel mit ihm: Entweder er liebte dich oder nicht. Es gab keine Grauzone. Wenn er dich aber ins Herz geschlossen hatte, war klar, dass er alles für dich tun würde. Er war, wie Miles Davis, ein Hund, der laut bellte, aber nicht biss. Ich weiß noch, wie Sinatra mir einmal nach einer langen Aufnahmesession im Studio Rühreier zum Frühstück machte. Beim Essen knurrte er dann, mit finsterem Gesicht: "Und, Q, was hältst du denn eigentlich von meinem Rührei?" Wissen Sie, bei Leuten in der Liga von Miles Davis oder Frank Sinatra gehörte es dazu, dass sie in allen Lebenslagen ihre Rolle spielten.
ZEITmagazin: Sie waren noch sehr jung, als Frank Sinatra Sie damals angerufen hat.
Jones: Ja, und fast pleite. Ich saß mit einer Band in Paris fest, nach einer Tour, die sich als finanzielles Debakel entpuppt hatte. Wir waren die beste Jazzband der Welt, aber so abgebrannt, dass wir hungern mussten. Da rief mich eines Tages das Büro der Fürstin Gracia Patricia von Monaco an und fragte, ob ich und meine 55 Jungs vielleicht Frank Sinatra bei einem Auftritt begleiten könnten. In Lichtgeschwindigkeit reisten wir nach Monaco, und es wurde eine gelungene Nacht. Wir sprachen wenig miteinander, aber am Ende kam Sinatra zu mir, lächelte und sagte: "Gute Arbeit." Dann war er weg. Die nächsten vier Jahre hörte ich nichts mehr von ihm, bis er mich eines Tages einfach so in New York anrief und sagte: "Hey, Q" – das war das erste Mal, dass jemand mich so nannte –, "hier spricht Francis, ich habe die Platte gehört, die du mit Count Basie gemacht hast. Genau so eine Platte würde ich auch gerne mit dir und Basie einspielen. Wäre das möglich?" Zwei Tage später standen wir im Studio. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft.
ZEITmagazin: Stimmt es, dass Sinatra Ihnen einen Ring schenkte, den Sie noch immer tragen?
(streckt seine Hand aus und zeigt auf einen Silberring am Mittelfinger)
Jones: Den bekam ich nach seinem Tod, er hat ihn mir testamentarisch vermacht. Ich habe ihn noch nie abgenommen. Frank Sinatra war ein echter Mann, deshalb konnte er auch singen wie einer.
ZEITmagazin: Sie galten als Wunderkind, Michael Jackson auch. Half Ihnen das bei der Zusammenarbeit?
Jones: Ja, das war von großem Vorteil. Ebenso die Tatsache, dass sich Michael so gut wie ich mit der Musikgeschichte auskannte. Von Arrangement und Orchestrierung verstand er auch einiges. Sein musikalisches Vokabular war überhaupt sehr eindrucksvoll. Michael war, wie ich und Sinatra, ein Perfektionist. Er setzte mich als Produzenten durch, obwohl die Plattenfirma in Panik war, weil man dort fand, dass ein Jazzmusiker nicht zu Michael Jackson passte. Kennen Sie Heidi Brühl?
ZEITmagazin: Nur dem Namen nach. Eine Schlagersängerin.
Jones: Eine tolle Frau. Das war wohl vor Ihrer Zeit.
ZEITmagazin: Eine Frage bitte noch zu Ihrer Arbeit mit Michael Jackson. Stimmt es, dass während der Aufnahmen für Thriller niemand schlafen gehen durfte?
Jones: Das stimmt bedingt. An Thriller arbeiteten wir, jedenfalls zeitweise, fünf Tage lang rund um die Uhr.
ZEITmagazin: Ohne Schlaf?
Jones: Selbstverständlich! Wenn wir einen Lauf hatten, mussten wir das ausnutzen. Wir haben die Leute im Studio damit wirklich an ihre Grenzen getrieben. Man nennt das Leidenschaft, und was die angeht, waren Michael und ich auf einer Wellenlänge. Thriller aufzunehmen war ein einziger, rasanter Rausch. Das Album Bad dauerte viel länger, alle Spontaneität war dahin. Der Druck war zu groß, und das war auch der Grund, warum Michael Jackson mich feuerte. Michael erwartete nach Thriller nur noch Bestseller in der 100-Millionen-Region. Mit Bad klappte das nicht, die Platte verkaufte sich nur 30 Millionen Mal. Davon war Michael so enttäuscht, dass er mich rausschmiss. Sind 30 Millionen verkaufte Alben ein Flop? Egal! Das ist lange her. In Deutschland habe ich übrigens tolle Sachen erlebt. Ich war mal in Berlin unterwegs mit Nastassja Kinski, der Mutter meines jüngsten Kindes. Wir schauten uns all die Sehenswürdigkeiten an, das Brandenburger Tor zum Beispiel, anschließend ging ich noch essen mit Leni Riefenstahl. Wir saßen drei Stunden lang beisammen und unterhielten uns über alles Mögliche. Es war nicht lange vor Riefenstahls Tod, und sie war in herrlichster Plauderlaune.
ZEITmagazin: Waren Sie vertraut mit ihren Filmen? Die sind in Deutschland ja durchaus umstritten.
Jones: Machen Sie Scherze? Ihr Olympia-Film ist ein Klassiker! Und sie war doch nie politisch.
ZEITmagazin: Darüber kann man streiten.
Jones: Ihr Ruf in Deutschland ist mir egal, ich liebe sie, und ich liebe ihre Arbeit. Auch wenn sie mit Goebbels befreundet war – man muss Kunst und Politik immer scharf voneinander trennen. Ihre Aufnahmen von den Nuba sind wirklich sagenhaft.
ZEITmagazin: Worüber haben Sie denn mit ihr geredet?
Jones: Sie hatte tolle Geschichten zu erzählen, so wie die, dass das gesamte "Dritte Reich" auf Koks war, bis zu ******. Irre, oder? Können Sie übrigens Meerrettich buchstabieren?
ZEITmagazin: M-e-e-r-e-t-t-i-c-h?
Jones: Ha! Falsch. Sie haben ein R vergessen! Ich saß mal mit ein paar Deutschen beim Essen. Nur Wim Wenders und Nastassja Kinski konnten das fehlerfrei buchstabieren.
ZEITmagazin: Haben Sie noch Kontakt zu Nastassja Kinski?
Jones: Kaum. Sie ist ein sehr komplexer Mensch. Zum Abschied gebe ich Ihnen noch einen guten Rat mit auf den Weg: Lassen Sie die Finger von Models und Schauspielerinnen! Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich spreche. Ich war mit einem Model und auch schon mit zwei Schauspielerinnen zusammen.
ZEITmagazin: Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken: Fragen Sie sich manchmal, wie Sie das alles überstanden haben?
Jones: Im vergangenen Jahr, als ich 80 wurde, habe ich mir die Frage nach der Bilanz meines Lebens tatsächlich zum ersten Mal gestellt. All die Aufnahmen, Magazine, Radiosender, TV-Sender, Kinofilme – wie ich da überall reingeraten bin, ist für mich unfassbar. Letztlich ist die wichtigste Lehre, die ich aus all diesen Dingen gezogen habe: immer nur dem eigenen Instinkt zu folgen. Wenn man etwas macht, das nur anderen gefallen soll, funktioniert das nicht. Aber wenn man selber etwas mit Leidenschaft angeht, wird es vermutlich auch andere ansprechen. Ich habe noch so viel vor! Mein Arzt versprach mir neulich, dass ich noch dreißig Jahre habe. Er garantierte mir, dass ich 110 Jahre alt werde. Die Nanotechnologie und die Gentechnik sind so weit, dass das realistisch ist, sagt er. Meine Kinder könnten 150 Jahre schaffen, und das werden sie auch. Und Sie sollten auch in Zukunft einen weiten Bogen um die Reeperbahn machen. Versprochen?
Quincy Jones, ist eine Größe in der Pop- und Jazzgeschichte. Schon als Teenager spielte er mit Ray Charles und Lionel Hampton, er war Produzent und Vizechef von Mercury Records. Er komponierte 33 Filmsoundtracks und produzierte die drei erfolgreichsten Platten von Michael Jackson. Zuletzt nahm er Alben der jungen Sängerinnen Nikki Yanofsky und Zaz auf.
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