Nun, was ist mir zugestoßen?
Im Grunde genommen das Gleiche, das Michael passiert ist. Nur auf einer anderen Ebene und ich hatte das Glück, dass auf mich keine 1000 Kameras gerichtet sind, wenn ich was sage. Dafür aber die Augen eines ganzen Dorfes. Das reicht schon.
Wie er hatte ich kaum echte Freunde, ich hatte keine 100% normale Kindheit, ich bin auch immer schon vorverurteilt worden. Auch für mein Aussehen Und oftmals musste ich mich auch gegen unschöne Behauptungen zur Wehr setzen. Ich musste schon früh mit den Konsequenzen jeder Entscheidung zu leben lernen und bin mehr als nur einmal tief gefallen. Verdammt tief.
Das sag ich jetzt nicht, um Mitleid zu bekommen. Das letzte was ich immer wollte, war Mitleid. Ich wollte einen Menschen, der mir zwar in den Arsch tritt, aber auch bei mir bleibt und mich unterstützt. Ich wollte jemanden, der keine klugen Sprüche bringt, sondern handelt. Und genau das kann ich mir bei Michael auch vorstellen. Dieser Mann hat keine Menschen gebraucht, die ihm sagen, wie er sein Leben leben soll. Er hätte niemanden gebraucht, der in Mitleid zerfließt. Er hätte Menschen gebraucht, die handeln. Zu seinem Wohl und vielleicht auch mal gegen seinen Willen. Aber aus ehrlicher Sorge heraus.
Es ist immer so unheimlich einfach zu sagen "Ja mein Gott, der war erwachsen, der hatte Geld und wenn er sich nur mal was hätte sagen lassen, dann wäre es ihm besser ergangen". Solche Sätze kommen von Menschen, die keine Ahnung haben, von was sie eigentlich reden. Genau solche Menschen, die meinten, ihm sagen zu können, wie er leben soll, genau die hätte er nicht gebraucht. Und ja, er war erwachsen. Ich bin auch erwachsen und dennoch habe ich lange Zeit versucht, alleine klarzukommen, einfach weil man es muss. Wenn man nur Menschen in seinem Umfeld hat, die sich mit der eigenen Situation nicht identifizieren können (und das konnten in Michaels Umgebung nur wenige Menschen), dann redet man mit diesen Menschen nicht darüber. Das tut man einfach nicht. Und man nimmt Ratschläge dieser Menschen automatisch nur mit einem süffisanten Lächeln entgegen, weil man denkt "Du hast keine Ahnung, von was du hier eigentlich sprichst". Man wird automatisch zum Einzelkämpfer und will das alleine schaffen, weil man das Gefühl hat, mit allem alleine zu sein.
Warum hat Michael sich nicht professionell helfen lassen? Vermutlich, weil er jahrelang immerwieder das Gefühl bekommen hat, dass ihn keiner wirklich versteht. Es ist für Andere immer leicht, irgendwelche klugen Lebensweisheiten zu zitieren und Ratschläge zu erteilen. Und wieso ist es so leicht? Weil sie schlussendlich ja nicht mit der Konsequenz leben müssen. Vielleicht mit einem schlechten Gewissen, ja. Aber nicht mit der Konsequenz.
Beispiel:
Da ist eine Straße, die eine Fußgängerampel hat, aber auf dieser Straße fährt laufend ein Auto und auch LKWs. Person X läuft mit Person Y diese Straße entlang und Person Y ist eine Person, die immer nur bei grüner Ampel über die Straße geht. Nun hat Person Y es aber an diesem Tag enorm eilig. Vielleicht weil auf der anderen Straßenseite ihr Bus wartet. Person Y weiß aber, dass es gefährlich ist, einfach über die Straße zu laufen. Person X ist da anderer Meinung und meint, man könne doch ganz normal da rüber laufen, wenn gerade kein Auto kommt. Person Y die es eigentlich aus Erfahrung besser weiß, hat zwar ein schlechtes Gefühl, aber rennt doch über die Straße....und wird vom nächsten Auto mitgenommen...
Das schlechte Gewissen hat vielleicht Person X. Aber Person Y ist die, die sich die Radischen von unten anschauen darf.
Ich hoffe, mit dem Beispiel kann ich rüber bringen, was ich sagen wollte. Genauso kann ich es mir bei Michael vorstellen. Da werden viele Leute da gewesen sein, die Ratschläge erteilen wollten. Mit Sicherheit in guter Absicht. Aber zu sagen "Menschenskind Michael, du musst mit diesen verdammten Medikamenten aufhören. Du machst dich doch kaputt!", das war keine große Hilfe für ihn.
Da werden viele Menschen Ratschläge gegeben haben, aber Michael konnte sie einfach nicht annehmen, weil er genau wusste, dass sie nicht sein Leben leben (können). Er wusste, es ist sein Leben und er wusste auch, dass er sicherlich ein Leben führt, das sonst niemand auf dieser Welt führt. Wer hätte ihm denn da Ratschläge erteilen wollen? Die Einzige, auf die er vielleicht gehört hat, war Liz Taylor, weil Michael wusste, dass sie einigermaßen weiß, wovon sie spricht. Aber ansonsten?
Ich weiß nicht, ob man Michael ab einem gewissen Punkt überhaupt noch hat helfen können. Aber wenn, dann hätte man knallhart sein müssen. Man hätte ihm alles um die Ohren hauen müssen. Sozusagen "ohne Rücksicht auf Verluste". Man hätte auch nicht aufhören dürfen, wenn er schon geweint hätte. Man hätte ihn nicht weglaufen lassen dürfen. Aber man hätte auch immer an seiner Seite sein müssen. Egal was gekommen wäre. Man hätte selbst diesen steinigen, harten Weg mit ihm mitgehen müssen. Mit allen Konsequenzen und mit allen "Wunden", die da entstanden wären. Man hätte gegen seinen Selbsthass, seine Selbstzweifel kämpfen müssen. Man hätte gegen seine Einsamkeit kämpfen müssen.
Ganz besiegt hätte man zumindest die Einsamkeit unter Umständen nicht. Aber vielleicht hätte man sie auf ein Maß reduzieren können, das auch für Michael erträglich geworden wäre. Wie genau man das hätte schaffen können, das weiß ich nicht. Ich kannte Michael ja nicht. Aber ich weiß, dass es verdammt schwer geworden wäre. Und diesen schweren Weg, den konnte/wollte wohl keiner mit ihm gehen.
Aber wenn keiner diesen Weg mit ihm gehen konnte, wer wollte ihm dann vorschreiben, wie er zu leben hat und welche Entscheidungen er zu treffen hat? Wer wollte ihm da raten, was für sein Leben gut ist und was nicht, wenn keiner dazu bereit war, mit ihm zu leben?
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