von Matt Semino
Soll Michael Jackson für seinen eigenen Tod verantwortlich gemacht werden? Die Auswahl der Jury ist im Gange und die Eröffnungserklärungen wurden abgegeben, um den Prozess wegen fahrlässiger Tötung gegen Dr. Conrad Murray zu beginnen. Internationale Schlagzeilen verkünden: "Michael Jackson trank Propofol, kurz bevor er starb!" Diese fragwürdigen Äußerungen spielen auf die Theorie der Verteidigung an, die Murray´s Juristenteam, wie vermutet, in Kürze in Los Angeles vor Gericht präsentieren wird. Anzeichen einer "Mach Das Opfer Verantwortlich"-Strategie sind bereits vorhanden.
Obschon sensationell, sollte es keine Überraschung sein, daß Murray´s Anwälte möglicherweise argumentieren, Michael Jackson habe sich das Leben genommen, indem er sich entweder selbst Propofol injizierte oder es einnahm. Geschichten-Ausdenken ist sicherlich nichts Neues, wenn es um den King of Pop geht. Den Spieß umdrehen gegen den Stimmlosen ist heute auch bei im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Angeklagten in Mode. Es funktionierte bei Casey Anthony, warum sollte es nicht auch bei Conrad Murray funktionieren? Wenngleich "Dem Opfer Die Schuld geben" eine verlockende und letztlich wirksame Verteidigungsstrategie sein mag, ist es moralisch fragwürdig, wenn sie auf Erfindung beruht und durch unbewiesene Tatsachenbehauptungen gesteuert wird.
Obwohl Anwälte damit betraut sind, vor Gericht die Interessen ihrer Klienten zu vertreten, können ethische Grenzen durch die hartnäckige Verfolgung dieses Ziels übertreten werden. Wie man bereits zuvor gesehen hat, kann ein geschickter Verteidiger Beweisfragmente, öffentliche Wahrnehmung und tief verwurzelte gesellschaftliche Klischees über ein Opfer und die mutmaßliche Straftat in einer komplizierten Schilderung verdrehen, die weit von der Wahrheit entfernt ist. Diese skrupellose Praxis kann die juristische Waffe der Wahl werden, wenn das einzige Ziel ist, auch nur den Hauch eines begründeten Zweifels in einem beeinflussbaren Jury-Mitglied zu wecken. Es ist eine Waffe, die tödlich sein kann, wenn man es zu weit treibt, indem man das Opfer mit jedem Schnitt verunglimpft und schließlich das Recht bis auf die Knochen zersetzt.
Die Casey Anthony Saga ist nur ein kürzliches, krasses Beispiel, wo eine solche Verteidigungstaktik im Gerichtssaal zu weit ging. Anthony´s Verteidigerteam präsentierte während ihres Eröffnungsplädoyers eine haarsträubende Erklärung über die Todesursache des Opfers und erhob schwere Vorwürfe gegen Familienmitglieder. All ihre verdrehten Behauptungen blieben im Lauf der Verhandlung letzlich unbestätigt. In diesem Prozess wurde das Andenken des Opfers beschmutzt und der Ruf der Zeugen zerstört - unter dem Deckmantel einer leidenschaftlichen Verteidigung ihres Mandanten. Das Gerichtsverfahren wird lediglich abgewertet, wenn solche Machenschaften unkontrolliert in einem Gericht stattfinden. Der Conrad Murray-Prozess birgt ebenfalls das Risiko, außer Kontrolle zu geraten, wenn keine Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden.
Während Millionen von Prozessbeobachtern dachten, Anthony´s Verteidigungtheorie sei reine Phantasie, setzte sie sich in den Köpfen der Geschworenen fest, die sie letztendlich freisprachen. Während Casey Anthony ihre Freiheit genießt, wird Caylee Marie Anthony niemals in der Lage sein, uns zu sagen, ob sie tatsächlich diese Pool-Leiter hinaufkletterte und ertrank. Ihre Todesursache bleibt ein Geheimnis. Ebenso wird auch Michael Jackson niemals in der Lage sein, uns zu sagen, wie er aus dieser Welt schied. Wenn nur das Wort des Beschuldigten gegen das Schweigen des Toten steht, wer wird dann das Opfer vor falschen Anschuldigungen und Unterstellungen schützen?
Zwar mag es für Einige einfach sein, zu vergessen, doch ist Dr. Conrad Murray derzeit derjenige, der vor Gericht steht, nicht Michael Jackson. Die Anwendung der gleichen machiavellistischen Strategien, die eingesetzt wurden, um Casey Anthony zu verteidigen, müssen von Richter, Jury und Zuschauern aufmerksam beobachtet und eingegrenzt werden, wenn der Murray-Fall voranschreitet. Die Wiederholung der katastrophalen Verschleierung der Wahrheit, die vor nur ein paar Monaten in Orlando geschah, kann im Gerichtssaal von Richter Michael Pastor verhindert werden.
Leider scheint Murray´s Juristenteam bereits mehr als nur ein paar Seiten aus Jose Baez Textbuch übernommen zu haben. In mehreren Voruntersuchungen wurde deutlich, daß Murray´s Anwälte aufmerksam die Dynamik des Anthony-Falles und die verfahrensrechtlichen Faktoren studiert haben, die ein positives Ergebnis für ihre Mandantin bewirkten. Sie beziehen sich auf die weltweite mediale Aufmerksamkeit, die das Anthony-Verfahren auf sich zog, und den potentiell schädlichen Einfluss der Kommentare der juristischen Experten, als Möglichkeit, Jury-Mitglieder zu isolieren und zu verhindern, daß der Prozess im Fernsehen übertragen wird. Richter Pastor traf die kluge Entscheidung, diese Anträge, welche unzumutbare Einschränkungen für die Freiheit der Öffentlichkeit, der Presse und der Jury bedeuten würde, abzulehnen. Vollständige Transparenz ist ein positiver Schritt in die Richtung, die Rechte des Opfers während dieses Prozesses zu wahren.
Wenn Conrad Murray´s Verteidigerteam plant, eine "Beschuldige Das Opfer"-Verteidigungsstrategie anzuwenden, werden das Eröffnungsplädoyer und die Zeugenbefragung wahrscheinlich negative Wahrnehmung und Klischees über Michael Jackson zu einer verdrehten Todes-Theorie verschmelzen. Versuche wurden bereits von Murray´s Anwälten gestartet, indem Jacksons finanzielle Angelegenheiten, seine körperliche und geistige Gesundheit sowie vergangene Rechtsstreits in den Strudel der Auseinandersetzungen gezogen wurden. Von Zeugen wurde erwartet, daß sie für die Verteidigung im Sinne dieser anzüglichen und höchst irrelevanten Thematik aussagen. Richter Pastor regierte vernünftigerweise damit, viele dieser Zeugen auszuschließen, argumentierend, deren Aussagen mangele es an ausreichender Beweiskraft bei der Bewältigung der primären rechtlichen Fragen des Falls. Eine gründliche Untersuchung von Dr. Conrad Murray´s ärztlicher Tätigkeit, seiner moralischen Entscheidungen und Sorgfaltsmaßstäben ist es, was zu zu diesem Zeitpunkt in einem Gericht wirklich im Mittelpunkt stehen sollte. Michael Jacksons Vergangenheit ist irrelevant in diesem gegenwärtigen Prozess.
Indem er angemessene Maßnahmen gerichtlicher Kontrolle während der Vor-Verhandlungszeit durchsetzte, hat Richter Pastor große Anstrengungen unternommen, um das bevorstehende Gerichtsverfahren vor der Verwandlung in eine geschmacklose Untersuchung Michael Jacksons durch sinnlosen Rufmord zu verhindern. Er hat versucht, beiden Seiten gegenüber fair zu handeln und nachdrücklich auch, das Opfer zu schützen. Pastor wird in den kommenden Wochen weiterhin eine zentrale Rolle spielen, indem er sicherstellt, daß die Staatsanwaltschaft und der Verteidigung innerhalb der Grenzen der Berufsethik agieren und die Regeln eines ordentlichen Gerichtsverfahrens befolgen. Ebenso ist es zwingend erforderlich, daß er die Jury deutlich auf ihre wichtige Rolle, ihre Verantwortung und Verpflichtung bei der Suche nach der Wahrheit auch durch Schall und Rauch hinweist.
Letztlich ist es an den Mitgliedern der Jury, alles, was während der Verhandlung von der Staatsanwaltschaft und vor allem der Verteidigung geäußert wird, in die richtige Perspektive zu rücken. Geschraubte Proklamationen sind nur heiße Luft, wenn sie nicht auf nachweisbaren Tatsachen beruhen. Die Jury-Mitglieder sollten sich nicht durch solche Übertreibungen verwirren lassen. Sie müssen kritisch und logisch darüber nachdenken, ob die Beweise, die vor Gericht vorgelegt werden, tatsächlich mit den Behauptungen der Anwälte in ihren Eröffnungsplädoyers und den Zeugenbefragungen übereinstimmen. Nur dann kann der Gerechtigkeit Genüge getan werden, ohne daß das Opfer jemals wieder zum Opfer gemacht wird.
Quelle Huffington Post / Übersetzung Pearl
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