Der Tag, an dem ich Michael Jackson traf
von Nancy Bass Wyden
Mitinhaberin des Strand Bookstore, NY
5. Juli 2009
Ich saß mit einer Freundin zusammen, als sie auf ihren BlackBerry blickte.
"Michael Jackson ist tot“ las sie. Dann fügte sie hinzu: "Das muß ein Scherz von meinem Freund sein." Doch ein paar Sekunden später schickte ihre Großmutter ihr einen weiteren Text. "Es muß wahr sein" folgerte sie.
Was mir durch den Kopf schoß, war: "Ist er nicht schon gestorben...vor langer Zeit?"
Es war ein seltsamer Gedanke, weil ich Michael Jackson, wenn auch nur flüchtig, persönlich kennen gelernt habe.
Ich beobachtete, wie er vor sich hin sang. Ich sah ihn als Vater. Ich spielte mit seinen Kindern und gurrte mit seinem neugeborenen Sohn. Das war vor 7 Jahren, Freitag, der 30. April 2002.
Vielleicht ist der Grund, warum ich dachte, er sei bereits gestorben, meine Erinnerung daran, als ich ihn zusammen mit meinen Eltern in der Ed Sullivan Show gesehen habe. Er war süß und aufgeweckt als kleiner Knopf, mit diesem Afro. Aber irgendwann konnte ich diesen kleinen Jungen nicht mehr erkennen. Seine gespenstisch blasse Haut, die Haare, die wie eine Perücke glänzten, der rosige Lippenstift auf seinem Mund, versteckt hinter dunkler Sonnenbrille und Maske; er war ein Fremder geworden. Ich hatte einmal ein Bild von ihm gesehen, wo er in einem Sauerstofftank lag, der aussah wie ein Glassarg. Ich erinnere mich an eine lebensgroße Skulptur von ihm aus Porzellan, gefertigt von Jeff Koons, die ich in einem Museum gesehen habe. Gedenkt man nicht Menschen nach deren Tod auf diese Weise? Seine Existenz wurde zu einem Mythos, nachdem er sich zurückgezogen hatte. Er war ein Prinz, er war eine Ikone, er war Peter Pan, er lebte in Neverland.
Alles begann geheimnisvoll.
Eines Nachmittags erhielt ich einen Anruf. Eine heisere Stimme sagte: "Ich vertrete einen VIP, der gerne den Strand besuchen würde." (Der Strand ist eine Buchhandlung, die vor 82 Jahren von meinem Großvater gegründet wurde und nun von meinem Vater und mir geleitet wird). Die Stimme fuhr fort: "Ich arbeite für Michael Jackson. Er würde gern im Laden vorbeikommen, jedoch ohne daß andere Kunden da sind." Ich wurde angewiesen, niemandem zu erzählen, daß Michael kommen würde. Es gab eine Kontakt-Telefonnummer im New York Palace Hotel, und ich erhielt den ganzen Tag über Updates von seinem Vertreter. Es wurde beschlossen, daß er um 22.30 Uhr in das Geschäft kommen würde, nachdem der Strand geschlossen hatte. Und ich hielt den Besuch geheim, außer daß ich ein paar Abteilungsleiter gebeten habe, mit mir dort zu bleiben; im Gegenzug wies ich sie an, über die Angelegenheit zu schweigen.
Bei Einbruch der Nacht knisterte die Luft vor Elektrizität. Ich baute Stapel von Moonwalk, Michaels Autobiographie (bearbeitet von Jackie Onassis) im Geschäft für ihn auf. Vom Lesen darin erinnerte ich mich, wie liebenswürdig sein sprachlicher Ausdruck als Autor war.
Und dann schritt (nicht moonwalkte) Michael durch die Tür unserer Abteilung für seltene Bücher im dritten Stock. Seine Haut war weiß, er hatte orangenen Lippenstift auf den Lippen, und seine Haare waren glatt. Aber er war immer noch Michael. Ich hatte ihn aufwachsen sehen.
Das erste, was Michael sagte, als er den Raum betrat, war: "Gibt es hier irgendwelche Kameras?" Ich verneinte. Ich wußte, damit war es ausgeschlossen, daß ich ein Foto mit ihm machen konnte; ich hatte eine Kamera mitgebracht, nur für den Fall. Ich spürte seine Verfolgungsangst. Ich konnte hören, wie die Menge unten auf der Straße schrie: "We love you, Michael!" Er bat mich, die Rollos an den übergroßen Fenstern herunter zu ziehen. Später wurde mir berichtet, daß einige Fans sogar über die Tore vor den Schaufenstern geklettert waren.
Trotz meiner gewissenhaften Bemühungen, diesen Event im Interesse von Michael geheim zu halten, hatte sich die Nachricht irgendwie verbreitet. Aber wie haben sie es herausgefunden? Vielleicht, weil Michael und sein Gefolge in einer Autokolonne anreisten, inclusive einer riesigen weißen Stretchlimousine, einem weißen Stretch-Lincoln und einem schwarzen Suburban Truck. Man sagte mir, daß sie geradewegs vom Times Square kamen. Die Schaulustigen müssen ihnen gefolgt sind, und die Nachricht verbreitete sich.
In seinem Gefolge waren zwei Sicherheitsleute, drei Krankenschwestern, alle in strahlend weißen Uniformen, und vier Kinder unterschiedlichen Alters, hispanisch und afro-amerikanisch. Es war so reizend, wie Michael mit ihnen umging. Sie schienen nette, höfliche, dankbare Kinder zu sein. Ich überlegte, ob er sie unter seine Fittiche genommen hatte, weil sie ein schweres Leben hatten.
Dann waren da seine schönen Kinder; sie sahen wie märchenhafte Disney-Wesen aus. Sie schienen so puppenhaft wie ihre Namen zu sein: Paris und Prince Michael I. Beide waren in königsblauen Samt gekleidet. Paris, die 4 Jahre alt war, trug ein Diadem mit Diamanten, wie eine echte Prinzessin. Prince Michael, 5 Jahre alt, hatte glatte blonde Haare im Pagenschnitt; Paris hatte fließendes braunes Haar und große blaue Augen. Ihre Haut war reinweiß, sie sahen aus wie Skandinavier. Die Wirkung war hinreißend: Ich wollte sie festhalten, sie mit nach Hause nehmen.
Ich wußte, er verhüllte sie mit Schals, wenn Kameras in der Nähe waren; und das tat er auch, als er später im Erdgeschoß einkaufte. In Tücher gehüllt, liefen seine Kinder herum wie Cousin It aus der Addams Family. Die Kinder schienen sehr ausgeglichen zu sein. Wir gaben ihnen einen Plüschhund mit einer roten Fliege und einem Anzug, und sie spielten auf dem Holzfußboden. Prince Michael brachte ein überdimensionales Buch über Sammler-Spielzeug heran; er war kaum in der Lage, es zu tragen. Er sagte mit der süßesten kleinen Stimme: "Papa, kann ich das haben?" Michael lächelte liebevoll und fragte, ob er es lesen wolle. Er antwortete: "Ja."
Eine der Krankenschwestern hielt ein entzückendes neugeborenes Baby mit dunklen Haaren. Ich hatte nichts davon gehört, daß Michael drei Kinder hatte, noch war es zu dieser Zeit öffentlich bekannt. Ich fragte mich, ob Michael ein neues Baby hatte, oder ob das Kind nur ausgeborgt war. Monate später fand ich heraus, daß es Prince Michael II. war.
Michael pickte einen jungen hispanischen Angestellten heraus, der ihm behilflich sein sollte. Sein Name, Jesus, stand mit schwarzem Filzstift auf seinem ovalen Plastik-Namensschild. Ich würde sagen, das war der Thrill seines Lebens. Michael übergab die Bücher, die er kaufen wollte, an Jesus, der sie in einem Korb an uns weiterreichte, wo sie registriert und verpackt wurden. Gelegentlich hatte Michael Fragen. Er wollte Bücher über schwarze Folk-Musik, Bücher von Roald Dahl (darunter James and the Giant Peach), und etwas über Versailles. Ich schickte meine Truppe los, um nach den Büchern zu suchen und gab sie dann an Jesus weiter. Bei einem früheren Besuch war mein Vater ihm behilflich, und er hat Bücher über Howard Hughes, Wörterbücher und Lesebücher für Kinder gesucht.
Natürlich mag ich jeden, der meine Leidenschaft für Bücher teilt, und ich war von Michaels Auswahl beeindruckt. Er sang leise vor sich hin und konzentrierte sich eine Weile auf Bücher über Fotografie und Kunst, kletterte sogar auf eine Leiter, wenn nötig. Insgesamt kaufte er Bücher im Wert von 6.000 Dollar und erlaubte jedem in seiner Gruppe, sich Bücher auszusuchen. Obwohl die Menschen in seinem Gefolge einige auswählten, hatte es nicht den Anschein, als würden sie sich sehr für Bücher begeistern.
Michael blieb passiv, als es um die Abrechnung ging. Als der Besuch sich dem Ende näherte, fragte ich einen Wachmann, wie gezahlt werden würde. Er reichte mir ein Handy und mir wurde die Nummer einer Kreditkarte durchgegeben, die auf den Namen einer anderen Person lautete. Am nächsten Tag wurden Michaels Einkäufe von einem schwarzen Lincoln Town Car abgeholt, alle verpackt in doppelten Einkaufstüten.
Michael und sein Gefolge stiegen in die Autos, und trotz seines Verlangens nach Geheimhaltung und seines paranoiden Verhaltens merkte man, daß er es liebte, seine Fans winken und schreien zu sehen; und er sagte ihnen, daß er sie liebte.
Er sehnte sich nach Liebe genauso wie der Rest von uns, oder vielleicht sogar noch mehr.
Es war nach Mitternacht. Sie waren zwei Stunden lang im Strand gewesen. Michaels Bodyguard erzählte mir, ihre nächste Station sei FAO Schwartz, das wie der Strand nur für sie geöffnet würde.
Ich zitterte vor Aufregung und dachte für mich: ‚Ich will mit ihnen gehen’.
Ich wollte wieder ein Kind sein. Ich wollte nicht in einer vollgestopften Buchhandlung bleiben und mich mit Personal, Inventur und Kundenreklamationen herumärgern.
ICH WILL SPAß HABEN.
Ich möchte Spielzeug kaufen gehen und auf dem Giant Piano tanzen wie Tom Hanks in dem Film Big.
Ich möchte mit Michael und den Kindern in der großen weißen Limousine fahren und zu lauter Musik rumhüpfen.
Ich möchte Tinkerbell nachfolgen, besprenkelt mit Feenstaub, das Fenster öffnen und durch den Nachthimmel fliegen.
Doch nun, sieben Jahre später, habe ich selbst Kinder, und ich lese ihnen Märchen vor. Und wie wir alle wissen, können Märchen auch eine dunkle Seite haben.
Wie Peter Pan sagte: "Zu sterben wird ein schrecklich großes Abenteuer."
Quelle: Huffington Post - Übersetzung: Pearl
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