Es ist also der 10. Oktober 1982 bei der Hochzeitsfeier von Steve Ross und Courtney Sales, kurz bevor Michaels
Thriller-Album erscheint:
...
Siebenundzwanzig Jahre später war jedoch der Gast auf Steve Ross’ Hochzeit, an den ich mich am
nachdrücklichsten erinnere, Michael Jackson. Schlank und elegant in einem zackigen Smoking, stand er allein
zwischen zwei massiven Säulen in Plaza’s Rococo-inspiriertem Great Room (Anm.: Raum mit hoher Decke und
offener Architektur). Getränke und Vorspeisen waren serviert; ein extravagantes Dinner war gegessen und Kaffe
getrunken; der Bräutigam begleitete die Braut auf die große Tanzfläche. Es war nicht viel zu tun als zu der
ansteckenden heiteren, sexy Discomusik der Nacht zu tanzen – und da bemerkte ich den 23-jährigen Jackson. Die
laute Party wirbelte um ihn herum während er betreten am Rande der champagner-tankenden Fete stand, sein
hübsches junges Gesicht war ein befangenes Beobachten. Mit Faszination und Mitgefühl beobachtete ich, wie er
sich von einem auf das andere Bein verlagerte, als sei er scheinbar von den Feiernden getrennt, als ob er ein
Hologram war.
...
Ich studierte Jacksons federleichte, anmutige Figur, alle Ecken und Ebenen in seinem strukturierten Smoking. Sein
Gesicht war ruhig, aber sein Körper drehte und schwankte immer etwas, als ob (so stellte ich mir vor) er sich
sehnte wie ein Panther über die Köpfe der mit Juwelen geschmückten Witwen zu springen und in der Mitte der
Tanzfläche zu landen, wo er die Reichen und Berühmten mit einer meisterhaften Tanzeinlage erstaunt. Er hätte die
schäbige (dowdy?) Promi-Ansammlung in seine Aufmerksamkeit gezogen, sie alarmiert, welche Richtung die Kultur
Jahrzehnte weiter nehmen würde. Und dennoch schaute er aus wie jemand, der sich wohler gefühlt hätte, wenn er
einfach unsichtbar wäre. In diesem Moment war er, so schien mir, teils Supernova, teils sehr schüchterner junger
Mann.
„Das ist Michael Jackson!“, flüsterte ich zu meinem Date, der nur leicht neugierig schien.
Als Jackson in meine Richtung blickte, lächelte ich zögernd, in der Hoffnung, ihm keine unerwünschte
Aufmerksamkeit aufzubürden. Aber er lächelte zurück, seine Augen trafen meine, dann huschten sie schüchtern zu
Boden. Unfähig lange wegzusehen, lächelte ich ihn einen Moment später wieder zu, und er lächelte zurück, ein
weiteres süßen Grinsen, ehe er auf den Boden blickte und eine winziges Schnörkel mit der Spitze seiner Schuhe
machte, abermals zu schüchtern, um den Kontakt zu halten.
Mein Date beobachtete den Austausch mit kühlem Abstand.
„Nun...“, sagte er eine Augenbraue hebend, neugierig zu sehen, wie ich reagieren würde, „Warum forderst du ihn
nicht zum Tanzen auf?“
Wie ich mir wünschte, ich könnte schreiben, dass ich mich von meinem Stuhl erhoben habe, zehn Schritte ging,
die damals unbehandschuhte Hand von Michael Jackson nahm und ihn zur Tanzfläche führte. Hätte ich ihn aus
seinem Gefängnis helfen können, das er versehentlich für sich hergestellt hatte?
Ich tat es nicht – sicher, wenn es erforderlich ist, doch ohne Notizbuch und Stift bin ich ein Feigling. Ich dachte:
Wie kann ich wohl meine free-style, disco-unschicklichen Bewegungen denen des besten Pop-Tänzers in der Welt
angleichen? Und wie kurzsichtig das natürlich war. Alles, was Jackson brauchte, war eine Partnerin – keine
Rockette -, die ihn befreite.
...
Ich fühlte die Trauer über die Nachricht seines Todes. Ich kannte ihn natürlich nie, nicht mal annähernd, aber ich
erinnerte mich an seinen Liebreiz und Anmut mit 23, sein unvergleichbares Genie als Musiker und Tänzer, seine
lähmende Schüchternheit, seine brillanten Auftritte, sein Perfektionismus und sein Verlangen zu gefallen, sich
immer wieder zu übertreffen. Und ich dachte darüber nach, wie Krankheit und Schmerz einengen und ein Leben
verzerren, und wie so wenige zu verstehen scheinen, was das bedeutet.
Originaltext: http://www.mymotherruth.com/blog.htm?post=617022
Kommentar