Von Kate Simon
Kate Simon und ich waren in den späten 1970er Jahren die New Yorker Korrespondenten der britischen Musik-Zeitschrift 'Melody Maker'. In der Regel bedeutete dies, sich beliebig in den Clubs und Lofts von Manhattan herumzutreiben und Berichte und Fotos festzuhalten, die uns gefielen. Im Winter des Jahres 1980 jedoch bat uns unser Redakteur, mit freundlicher Genehmigung der PR-Chefin von Epic Records, Susan Blond, nach L.A. zu fliegen. Unser Auftrag: die Welt darüber zu informieren, was aus Michael Jackson geworden war, der nur noch selten im Fernsehen zu sehen war, seit er der süße elfjährige Mini-Überflieger der Jackson 5 gewesen war. Die Jacksons waren verschwunden, doch Michael hatte kürzlich 'Off The Wall' veröffentlicht, seine erste Solo-LP, seit er Motown verlassen hatte.
Der erste Hinweis, daß dies eine Geschichte wie keine andere sein würde, kam, als mein Telefon klingelte und die federweiche Stimme von Michael Jackson mich überraschte. Michael stellte Grundregeln für unser Interview auf. Er wollte, daß seine dreizehnjährige kleine Schwester Janet - die damals die Hauptrolle in der TV-Sitcom 'Good Times' spielte - dabei war. Er wollte, daß ich meine Fragen an sie richtete und wartete, während sie ihm diese wiederholte. Und nur dann würde er mir antworten. Diese eigenartige Kombination aus extremer Schüchternheit und strenger Kontrolle wurde auch in Hollywood entdeckt und ausgelebt.
Kate und ich checkten lieber im Tropicana ein, statt in dem bequemeren Beverly Hills Hotel, das uns angeboten worden war, denn Kate war - typisch für sie - eher auf der Suche nach aufsteigenden Bands als nach heruntergekommenen TV-Stars. Leider war die Jackson-Grundregel am nächsten Morgen ein Schocker: Kate wurde gebeten, nicht mit zum Interview zu kommen. Ich bin sicher, das war nichts Persönliches gegen Kate, sondern eher Image-Kontrolle. Sie wollten dramatische Aufnahmen von Michael, während er performte, und nicht wie Mr. Rogers gekleidet auf seinem Sofa sitzend. Doch einen Künstler in seinem eigenen Milieu abzulichten, ist alles für einen Fotografen, und es brachte sie um, zurückbleiben zu müssen, während ich mich auf den Weg zum Grundstück der Familie im San Fernando Valley machte.
Wir fuhren bis zu einem Eisentor und läuteten an der Gegensprechanlage, damit die Bewohner die Dobermänner aus dem Hof entfernen konnten. In der Einfahrt des weitläufigen einstöckigen Hauses standen ein Rolls und ein paar Mercedes herum, und ein hellbraunes Familien-Wohnmobil war unter dem Basketballkorb geparkt (ich glaube, Michael besaß noch kein eigenes Haus.) Die kleine Janet öffnete mit einem freundlichen Lächeln die Tür und die kleinen goldenen Perlen in ihrer Bo Derek-Haarfrisur klickten, als sie uns in ein helles, schlichtes, zitronengelb gestrichenes Wohnzimmer führte. Es schien ein komfortables Haus der oberen Mittelschicht zu sein und keineswegs der überladene Palast, den sie sich sicherlich auch hätten leisten können.
Michael schloss sich uns unverzüglich an, ein freundlicher, süßer, zurückhaltender Jugendlicher, dessen große glänzende schwarze Schuhe mich an einen Welpen erinnerten, dessen Füße noch zu groß für seinen Körper sind. Das erste, was er nach dem Händeschütteln tat, war, mich daran zu erinnern, daß Janet unsere Dolmetscherin sein würde, und wir setzten uns für ein zweistündiges Interview zusammen. Ich begann mit der Frage nach Quincy Jones (Produzent von 'Off The Wall'), was genau in Michaels Wohlfühlbereich war. Janet war bezaubernd (als Michael nervös seine Fingergelenke knacken ließ, rügte sie ihn sanft wie eine kleine Mutter), und nach etwa fünfzehn Minuten begann er glücklicherweise, unsere Unterhaltung so sehr zu genießen, daß er seine eigenen Grundregeln vergaß, Blickkontakt herstellte und mir direkt antwortete.
Kate erlangte schließlich Zugang zu der Studio-Session, während der Michael das Video zu 'Rock With You' aufzeichnete. Es tut mir leid, sagen zu müssen, daß ich mich an so gut wie nichts davon erinnere, außer daß wir die einzigen beiden Außenstehenden dort waren. (Ich habe wohl zu viel Zeit damit verbracht, Kate bei der Arbeit zu beobachten.) Doch später erzählte man mir, das daraus entstandene 'Melody Maker' Cover mit Kates Foto habe jahrelang gerahmt an der Wand von Michael Arbeitszimmer gehangen; es muß ihm also gefallen haben. Im finalen Video sieht man Michaels glitzernden Ketten-Bodysuit, in dem er an diesem Tag performte. Was man nicht sieht, ist, wie Kate Simon in der Dunkelheit hinter der Kamera tänzelte und schnipste.
- Stephen Demorest
Gillian McCain: Hallo. Kate.
Kate Simon: Hallo. Gillian.
GM: Wir sind hier, um über jenen Tag im Jahr 1980 zu reden, als Sie Michael Jackson am Set der Musikvideos aus seinem Album 'Off The Wall' fotografiert haben.
KS: Michael Jackson war ein so interessantes Thema und anders als alle, die ich jemals fotografiert habe. Etwas, das mir als ungewöhnlich auffiel, war Michaels Stille zwischen den einzelnen Aufnahmen. Wenn Michael nicht auf der Bühne stand, war es, als sei er in einer Blase aus Schüchternheit gefangen und nicht in der Lage, auf der gleichen Ebene wie der Rest von uns mit der Realität umzugehen. Doch wenn die Musik spielte und er sang und tanzte, war es, als würde ein gänzlich anderes Wesen zum Leben erwachen, und seine Energie, seine Sicherheit und sein Selbstbewußtsein überwältigten mich einfach, als ich dort stand und ihm durch die Kamera zusah.
GM: Ist ein gutes Fotomotiv zu sein abhängig davon, selbstbewußt zu sein?
KS: Ein gutes Fotomotiv zu sein, heißt, sich selbst zu kennen. Es ist menschliche Interaktion, und es geht darum, den Fotografen ebenso zu respektieren wie sich selbst. Für einen Porträt-Fotografen ist es wichtig, daß das Motiv ihn mag, sich ihm öffnet und ihm vertraut - innerhalb ziemlich kurzer Zeit.
GM: Das Interessante am Michael Jackson Shooting war, daß Sie ihn erst kennenlernten, nachdem Sie ihn fotografiert hatten.
KS: Ja, nicht wahr? Wahrscheinlich, weil er so schüchtern war. Aber Junge, er hats mir gegeben, als er tanzte. Es war eigenartig, wie unabhängig und so bei sich selbst und voller Hingabe er war, wenn er tanzte. Ich habe niemals jemanden wie ihn gesehen.
GM: Welches waren die Umstände, die dazu führten, daß Sie Michael an diesem Tag in einer so privaten Umgebung fotografierten?
KS: Ich arbeitete damals als in Amerika lebende Fotografin für 'Melody Maker', ein britisches Musik-Wochenmagazin. Susan Blond von Epic Records International schickte Stephen Demorest und mich nach Los Angeles, damit ich Michael fotografieren und er ihn interviewen konnte. Ich muß sagen, Stephen Demorest war ein äußerst attraktiver und liebenswürdiger Mann. Wir waren gute Freunde und sind es noch. Später wurde er Chefautor bei 'Guiding Light' und 'All My Children' und erhielt mehrere Emmy Awards für seine Arbeit als TV-Autor.
GM: War es aufregend für Sie, Michael zu fotografieren, oder war es nur ein weiterer bezahlter Job?
KS: Zu diesem Zeitpunkt in meiner Karriere wurde ich häufig nach L.A. geschickt; es war einfach ein weiterer Auftrag für mich, um ehrlich zu sein. Epic hatte angeboten, uns im Hilton unterzubringen, doch ich sagte: "Auf keinen Fall, wir müssen im Tropicana bleiben." Und bis zum heutigen Tag hegt Steve einen Groll deswegen, weil eine Party-feiernde Heavy Metal Band ihn die ganze Nacht wachhielt, bevor wir früh am Morgen aufstehen mußten, um den Videodreh zu machen. Bis heute erinnert er mich immer wieder daran, doch ich mochte das Tropicana.
GM: Wußten Sie im Vorfeld, wie die Umstände sein würden?
KS: Keiner von uns wußte, wie dies werden würde. Meine Aufgabe war es im Wesentlichen, Michael für diese beiden Videodrehs abzulichten. Damals bedeutete die Musikindustrie eine Menge Spaß. Wir gingen zur Bühne, und niemand war da. Sie war für Michael vorbereitet worden, um die Videos zu 'Off The Wall' und 'She’s Out Of My Life' zu drehen. Es gab dort nur Michael, meinen Texter Stephen Demorest, der Michael am nächsten Tag interviewen würde, und Michaels Manager, der wie ein Falke hinter mir kreiste und mich mit Argusaugen beobachtete. Ich erinnere mich, daß das vorhandene Licht wirklich gut war. Ich glaube, die Bilder besitzen viel Seele und Atmosphäre. Außer uns waren nur noch eine Visagistin und ein paar Techniker anwesend. Insgesamt waren weniger als zehn Leute dort.
GM: Es muß aufregend gewesen sein, ihm so hautnah beim arbeiten zuzusehen.
KS: Es war einfach atemberaubend. Jede Bewegung, die er machte, war perfekt. Es hat ihm so viel Spaß gemacht und er war wirklich glücklich. Ich dachte bei mir, daß er fantastisch aussah.
GM: Gaben Sie ihm irgendwelche speziellen Anweisungen oder sagten ihm, wo er stehen sollte?
KS: Nicht wirklich. Ich fand nur den richtigen Standort für mich heraus, was etwa zehn Meter von ihm entfernt neben dem Kameramann war. Meine Aufgabe war klar, ich mußte sicherstellen, daß von technischer Seite alles bereit war, um die bestmöglichen Aufnahmen zu erhalten, was durchaus eine Herausforderung war angesichts der Scheinwerfer und Laserstrahlen, die von seinem Pailletten-Overall zurückgeworfen wurden. Das Licht war einfach überall, doch ich schaffte es, das Maximum seiner Energie und Kraft aus Michael herauszuholen; und ich glaube, die Fotos, die ich an jenem Tag machte, konnten diese Energie einfangen.
GM: Haben Sie zwischendurch mit Michael gesprochen?
KS: Nein, es war seine Show. Es ist schwer, Worte dafür zu finden, wenn jemand so gut ist. Jede Bewegung war so exakt und führte nahtlos und perfekt zur nächsten Bewegung. Es war berauschend, Michael mit so absoluter Freude performen zu sehen. Michael wußte genau, wie er sich der Welt präsentieren wollte. Es war, als würde die Magie, die er besaß, direkt aus dem Kosmos in seinen Körper fließen. Michael beim Tanzen zu beobachten, war, als sehe man die gesamte Geschichte des Tanzes.
GM: Wann sprachen Sie schließlich mit ihm?
KS: Nach dem Bühnen-Dreh gingen wir in einen kleinen Raum und ich packte meine Kameras zusammen, doch ich wollte nicht einfach ohne Abschied gehen. Das hätte ich als unhöflich empfunden. Also sagte ich zu Michael: "Nun, Michael, Sie müssen sich gut fühlen, es ist wunderbar gelaufen". Ich wollte ihm das sagen, bevor ich ging. Es war merkwürdig, daß er in Gesellschaft so schüchtern war; seine Stimme war federzart, als er zu mir sagte: "Nun ... Kate ... wissen Sie ..." und verlor sich dann. Ich bekam ein paar wirklich gute Bilder von ihm in diesem Raum, bevor ich ging. Es sind gute, ungestellte Porträts. Der Raum war winzig, etwa 12 x 8 Fuß, und er saß einfach auf der Couch für die Fotos.
GM: Was für eine unglaubliche Erfahrung, die Gelegenheit gehabt zu haben, Michael zu dieser Zeit und an diesem Ort zu fotografieren ...
KS: Wissen Sie, es war wirklich eine aufregende Erfahrung; in den Fotos kann man seine Freude und Begeisterung spüren.
GM: Absolut. Danke, daß Sie uns an diesem Tag teilhaben ließen, und für Ihre unglaublichen Bilder von Michael.
KS: Es war mir eine Freude, Gillian.
Quelle: MJJ Underground / Übersetzung: Pearl
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Lid Magazine #10 - Michael Jackson by Kate Simon
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