Von Jonathan Haeber, 10. März 2008
Ich wollte diesen Beitrag nicht machen, um mich in die zahllosen Ergüsse der Medien über Michael Jackson einzureihen. Ich bin nicht hier, um über sein Leben zu urteilen oder über seine Finanzen oder seine bewegte Vergangenheit zu sprechen, oder die Anschuldigungen, oder gar Bubbles. Ich schreibe dies einfach, um eine Geschichte zu erzählen. Es ist eine Geschichte, die zu erzählen ich zuvor nicht ernsthaft die Neigung verspürte. Nun, wo Michaels Ranch nicht mehr existiert, die Fahrgeschäfte demontiert sind – und sie nur noch ein in Bankenbesitz befindlicher Schatten ihres früheren Selbst ist - wollte ich ein paar Dinge über meine Erlebnisse in Neverland sagen, und die Wahrheit darüber, wie ich dort hinein gelangen konnte.
In vielerlei Hinsicht ist dies, glaube ich, eine Art Beichte. Ich hatte Neverland niemals als einen interessanten Ort angesehen. Anfangs begriff ich nicht sein Potenzial, eine fotografische Geschichte zu erzählen. Als jemand, für den historische Architektur Aussagekraft besitzt, sah ich Neverland weder als bedeutend noch als historisch an. All das änderte sich jedoch.
Im Dezember 2007 war ich für die Feiertage auf dem Weg nach Ventura. Ich war schon oft die 101 entlang gefahren, und ich hatte mir angewöhnt, auf jeder Fahrt irgendwo am Straßenrand anzuhalten, um Nachtaufnahmen zu machen. Wie jedes Jahr im Dezember, kurz vor Weihnachten, werden im Radio ständig die gleichen alten Weihnachtslieder gespielt. Gewöhnlich ist die sechsstündige Fahrt erträglich, wenn ich zwischen den Werbespots von einem Sender zum nächsten schalte. Während dieser spezielle Fahrt jedoch wurde ich der Musik überdrüssig. Ich bin nicht ganz sicher, wieso mir Michael in den Sinn kam. Ein Teil davon hatte vermutlich mit der Stille und meiner Angewohnheit zu tun, mir in solchen Momenten Musik in meinem Kopf vorzustellen. Es ist auch möglich, daß ich die Ausfahrt nach Los Olivos passierte und an diesen Ort dachte, nur um in der Folge mehr und mehr daran zu denken. Was auch immer es war, die Vorstellung des damals verlassenen Neverland begann in meinem Kopf zu rotieren. Das Radio war ausgeschaltet und ich begann zu grübeln. Was hatte Neverland für Michael bedeutet? Dann kam die große Frage: Wieso konnte Neverland in meinen Augen nicht "historisch" sein?
Ich gebe zu, wie die meisten Historiker - Amateur oder nicht - leide ich an der törichten Ideologie, daß Geschichte immer mit alt gleichgesetzt werden muß. Darum war Graceland "Geschichte" für mich, doch Neverland würde das niemals sein - zumindest nicht, bis es verschwunden war. Stunden vergingen, und der Wunsch, Neverland von innen zu sehen, wuchs. Ich hatte im Grunde alle anderen fotografischen Möglichkeiten entlang der 101 ausgeschöpft, und ich wußte, diese Chance würde bald vorüber sein. Dann, einen Tag, bevor ich wieder zurück nach San Francisco fahren würde, verließ ich gerade ein Theater, als etwas wie Schnee auf mich herabfiel. Ich merkte schnell, daß es große Ascheflocken von einem Feuer ganz in der Nähe waren. Der Himmel war dunkel und orangefarben. Es war ein gespenstisches, unheilverkündendes Zeichen, oder zumindest hielt ich es dafür. Ich mußte Neverland fotografieren, denn sonst - und ich hatte ein starkes Gefühl - würde alles ohne gebührende Dokumentation in Schutt und Asche versinken.
Nachdem die Entscheidung gefallen war, gab es nichts mehr, was mich noch hätte umstimmen können. Dennoch dachte ich mehr als einmal daran, den ganzen Plan aufzugeben und einfach weiter Richtung Norden zu fahren. Ich versuchte, mich selbst davon zu überzeugen, daß ich schon viele Male zuvor andere Grundstücke ohne Genehmigung betreten hatte - doch die Folgen hatten mich nie wirklich beunruhigt, bis ich darüber nachdachte, Michaels privaten Park zu betreten. Während ich dies schreibe, versuche ich noch immer, meine Handlungen zu rechtfertigen, indem ich daran dachte, wie sehr Michael an seiner Welt wirklich teilhaben lassen wollte. Es war sein aufrichtiger Wunsch, den Menschen begreiflich zu machen, wie er dachte. Doch die Welt verstand größtenteils nicht, was er mit Neverland auszudrücken versuchte, so daß er es schließlich aufgegeben hat.
Die Leute haben mich während des vergangenen Jahres gefragt, wie es sich anfühlte, nachts in Neverland zu sein, allein. Ich wollte nichts darüber sagen, außer, daß es die unwirklichste und unglaublichste Erfahrung meines Lebens war. Andere fragten mich, wie ich Michael gegenüber empfand, nachdem ich Neverland gesehen hatte, doch ich konnte diese Frage nicht vollständig beantworten. Ich enthielt mich eines Urteils. Vielleicht hatte ich, wie alle kampfvernarbten Menschen, die leise Vermutung, daß all meine guten Gefühle für den Mann erschüttert würden, sollte eine weitere Anschuldigung aufkommen. Doch dies ist nie geschehen, genau wie ich es vermutet hatte, denn alles, was ich auf der Ranch sah, zeigte mir, daß er unschuldig war.
In der Nacht, als ich zum Eingangstor fuhr, saß ein Wachmann in einem hellbeleuchteten Blockhaus am Straßenrand. Neverland selbst liegt etwa 400 Meter vom Eingangstor entfernt. Es war eine dunkle Nacht. Tatsächlich war Neumond und der Himmel war wolkenlos. Hier draußen in Los Olivos leuchteten die Sterne hell und die Luftverschmutzung war sehr gering. Ich behielt meine Geschwindigkeit bei, als ich die Wache passierte, und fuhr die Straße hinauf bis zu einem kleinen Parkplatz im Osten des Parks. Der Weg nach Neverland führte durch die pechschwarze Nacht etwa eine halbe Meile über sanfte Hügel. Ich trug ein GPS-Gerät bei mir, das ich soweit als möglich gedimmt hatte, und folgte dessen gleichmäßigem Ticken bis zum nördlichen Ende des Parks.
Ich stieß auf eine Nebenstraße, scheinbar ein ehemaliger Wirtschaftsweg für die Tierpfleger. Inzwischen waren alle Tiere verschwunden, außer ein paar Hunden im alten Vogelhaus. Ich durchbrach das Geäst einiger Roteichen und fand mich in einer Miniatur-Stadt wieder. Ich stand direkt am Streichelzoo. Dort begann mein Abenteuer.
Seltsamerweise fegte genau in diesem Augenblick ein heulender Wind durch das Tal. Mächtige Baumäste knickten und stürzten herab; ich hörte das Knarren des Riesenrads, das Seil der Zugbrücke bewegte sich wild und unberechenbar. Als ich zu dem verlassenen Autoscooter-Zelt hinüberging, war der Wind so stark geworden, daß das rote Zeltdach zerriss. Es war Glück, daß der Wind mir auch erlaubte, ungehindert im Park umher zu wandern, ohne ein einziges Bellen der nahen Hunde.
Inmitten dieses Windes waren die einzigen regungslosen Elemente auf Neverland die starren, bronzenen Gesichter der unzähligen Statuen, die das Anwesen übersäten. Das Lächeln der Kinder schien angesichts der Umstände beinahe traurig zu sein; und außer einer gelegentlichen Schrecksekunde, wenn ich auf eine weitere starre Figur stieß (und dachte, es sei eine reale Person), waren diese Statuen das Motiv, von dem meine Kamera am meisten angezogen wurde. Die Fahrgeschäfte selbst konnte man auf jedem Jahrmarkt in jedem Staat des Landes finden. Doch es war die Psyche Michael Jacksons, die meine Neugier weckte. Die Statuen waren die Verbindung, und es war meine Aufgabe, diese Artefakte zu katalogisieren, bevor letztendlich die Zeit ihrer Beseitigung gekommen war.
Ich unternahm zwei weitere Fahrten nach Neverland, jedes Mal mit engen Freunden. Ich machte Hunderte von Fotos des Parks. Viele dieser Fotografien werde ich niemals veröffentlichen. Jene Besuche wurden von Mal zu Mal bittersüßer. Ich verspüre keine Reue über das, was ich getan habe, doch wenn es eines auf Neverland gibt, was ich mir wünschte, getan zu haben, dann ist es, die Superrutsche hinuntergerutscht zu sein. Ich glaube, MJ hätte das gefallen, und ich bin sicher, die Freunde, die während meines letzten Besuchs bei mir waren, würden daraus ein Foto-Shooting gemacht haben.
Ungeachtet dessen, wie kitschig das alles schien; ungeachtet der Kontroversen; und ungeachtet der Tatsache, daß ich Neverland nur aus einer Perspektive sehen konnte (die der Nacht), sind die Zeiten, ich ich auf Neverland verbrachte, einige der unvergeßlichen Momente in meinem Leben. Neverland gestattete mir, der zynischen, ausländerfeindlichen Welt eines Landes, das in einen Sumpf aus Krieg, Terrorismus und täglichen Berichten von Selbstmordattentätern verstrickt ist, zu entfliehen.
Es mochten nur ein paar Nächte des Entfliehens gewesen sein – bestenfalls - doch sie erlaubten mir, mich in Michael hineinzuversetzen. Meinen eigenen Weg zu der schon bald verlöschenden Traumlandschaft einer wahrhaft edlen Seele zu moonwalken.
Mögest du in Frieden ruhen, Michael. Dein Traum wird weiterleben.
Anmerkung des Verfassers:
Der obenstehende Beitrag wurde ursprünglich im März 2008 veröffentlicht. Doch die tragischen Ereignisse der letzten Woche veranlassten mich, ein Nachwort zu schreiben -
Auf der Neverland Ranch
Von Jonathan Haeber, 27. Juni 2009
Michael Jacksons Neverland Ranch kommt nächste Woche zur Versteigerung. Bearings erlangte Zugang zu der Ranch und postete (einige der) Bilder weiter unten.
Nebenbei bemerkt, ich persönlich glaube, Jackson ist unschuldig in allen Anklagepunkten. Ich spreche als jemand, der auf Jacksons Neverland Ranch gewesen ist. Ich finde den Gedanken, mit Geraldo Rivera einig zu sein, ein bißchen beunruhigend, aber was soll man machen?
Viele Bilder veröffentliche ich nicht, aus Respekt vor Jacksons Privatsphäre. Was ich posten werde, sind Plätze, die die Öffentlichkeit weitgehend bereits kennt (oder zumindest Scharen von Jugendlichen, die es als Privileg ansehen, auf "der Ranch" gewesen zu sein. Ob man nun glaubt, daß er unschuldig ist oder nicht - man kann die Schönheit von Jacksons Vision, indem er einen solchen Ort erschuf, würdigen.
Keiner von uns sollte jemals das Gefühl des Staunens und der Ehrfurcht über diese Welt verlieren, und ich glaube, Jackson wollte wirklich, daß Kinder dieses Gefühl haben.
Hauptsächlich, weil er selbst es als Kind niemals hatte.
Die Fotos
- Jonathan Haeber -
- Scott Haefner -
Dein Wunsch ist mir Befehl ~
Aladin, der Flaschengeist in seinem
"klitzekleinen" Lebensraum.
Unverstanden ~
Nachts in der Spielhalle.
Beleuchtet mit einem
tragbaren Blitzgerät.
Bahnhof ~
Der Pseudo-Disneyland-Bahnhof
von Neverland war noch immer
angefüllt mit Michaels Artefakten.
Im Licht des Vollmondes.
Zerstörtes Paradies ~
In glücklicheren Zeiten brachte
der Neverland-Zug Kinder zu
den Fahrgeschäften.
Willkommen ~
Gleich nach dem Eintritt durch das
Haupttor von Neverland begrüßte
diese Ziegelfassade die Gäste.
Im Licht des Vollmondes.
Humanitäre Auszeichnung ~
Wir fanden diese Tafel an der Rückseite
des Bahnhofs. Mit Blitzlicht fotografiert.
Kavallerie im Verborgenen ~
Einige der Drachen und Pferde in
dem Karussell projizierten ihre
Schatten auf den Vorhang, der
während der zweiminütigen
Belichtungszeit vom Wind bewegt
wurde. Sowohl Außen- als auch
Innenbereich wurden durch
Blitzlicht beleuchtet.
Unschuld ~
Die Rückseite des Bedienpults
für den Autoscooter.
Beleuchtet mit Blitzlicht.
Hinter dem Vorhang ~
Achtminütige Belichtung der
Außenseite des Autoscooters.
Ich fotografierte zunächst das
Äußere, indem ich die Reflexionen
der Lichterketten auf dem Asphalt
einfing, dann ging ich hinein, um
den Innenraum zu beleuchten. Die
Punkte auf der Zeltplane und dem
Innenboden entstanden, indem ich
meine Taschenlampe etwa dreißig
Sekunden lang auf eine der Disco-
Kugeln richtete
Michael Jacksons Universum ~
Sechzehnminütige Belichtung des
Sea Dragon Fahrgeschäfts auf
Michael Jacksons Neverland Ranch.
Fotografiert in einer mondlosen
Nacht mit etwa einminütigem
Füll-Licht meines Blitzgerätes,
um das Fahrtgeschäft zu
beleuchten.
Rundherum ~
Beleuchtet von einer 2AA
LED-Taschenlampe.
Türklopfer "Die Küssenden" ~
Die meisten der Fahrgeschäfte und
Gebäude waren in erstaunlich gutem
Zustand. Das Schloß jedoch, wo
dieses Foto entstand, war sehr
heruntergekommen.
Hängende Schaukeln ~
Zweieinhalbminütige Belichtung
bei Vollmond und einem gelben
Blitzlicht im Inneren.
Zu früh gegangen ~
Zufällig machte ich dieses Foto
zu beinahe der gleichen Zeit
wie der auf der Uhr, wenngleich
diese für immer stillsteht. Sie
läuft vermutlich seit Jahren
nicht mehr.
Jackson Exklusiv ~
Bedienkonsole für den Autoscooter,
"entworfen exklusiv für Michael Jackson".
Heftige Winde haben das Zeltdach des
Fahrgeschäfts zerfetzt; im Foto sieht
man es herunterhängen.
Seid nett zueinander ~
Das "Neverland Siegel". Beleuchtet
von einer 2AA LED-Taschenlampe.
Stoßstange an Stoßstange ~
Beleuchtet von einer 2AA LED-
Taschenlampe. Nachdem ich die
Autos fotografiert hatte, richtete
ich mein Licht auf die Discokugel,
um die Lichtpunkte zu erzeugen.
Der Vollmond schien hinein und
warf einen Lichtstreifen auf den
Boden.
Neverland Karussells ~
Zwölfminütige Belichtung. Im Licht
des Vollmondes.
Peter Pan ~
Vielen Dank an Tunnelbug für die
Beleuchtung der Peter Pan-Statue.
Asche zu Asche ~
Einminütige Belichtung. Beleuchtet
von einer 2AA LED-Taschenlampe.
Understatement ~
Straße zum Vergnügungspark.
Fünfeinhalbminütige Belichtung,
im Licht des Vollmondes.
Neverland Valley ~
Beinahe dort!
Im Licht des Vollmondes.
Neverland Tor-Emblem ~
Nahaufnahme des Emblems am
Haupttor, beleuchtet von einer
2AA LED-Taschenlampe.
Neverland Haupttor ~
Am Haupteingang führt Michael
eine Reihe von Kindern an.
Willkommen ~
Betreuer-Zelt in der Nähe des
Eingangs. Vierminütige Belichtung,
im Licht des Vollmondes.
Straße nach Neverland ~ Figueroa Mountain Road
Quellen:
http://www.terrastories.com/bearings...ichael-jackson
http://www.terrastories.com/bearings...everland-ranch
http://scotthaefner.com/photos/place/Neverland+Ranch/
http://www.flickr.com/photos/heads-u...7603762534753/
Übersetzung: Pearl
Kommentar