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Interview mit Joe Vogel, Autor von "Man in the Music"

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  • #76
    Jackson gibt bereits beim ersten Titel den Ton an. An die Stelle der ursprünglichen, filmischen Grooves von „Bad“ rückt etwas, das mehr auf die reale Welt eingestimmt ist, etwas Gereizteres, etwas von besonderer Dringlichkeit. Das zersplitternde Glas zu Beginn von „Jam“ symbolisiert passend den Umbruch. „Dangerous“ war Jacksons erstes Album ohne den legendären Produzenten Quincy Jones. Viele hielten ihn für verrückt, sich von Quincy Jones zu trennen angesichts des beispiellosen Erfolgs des Paares. Doch Jackson liebte Herausforderungen und war bestärkt von der Idee als Produktionsleiter mit frischer Leinwand zu arbeiten. Er fing an, mit einer Gruppe talentierter Produzenten und Ingenieuren herumzuexperimentieren, zu denen er in den vorangegangenen Jahren eine Beziehung aufgebaut hatte, dazu zählten Bill Bottrell, Matt Forger und Bryan Loren. Später brachte er noch seinen langjährigen Toningenieur Bruce Swedien mit ins Boot. Was bei den Aufnahmesessions herauskam – die die Jahre 1989-1991 umspannten – war bis dato das Album, das für ihn das größte soziale Bewusstsein und die größte Befreiung darstellte.

    Der bedeutendste Neuzugang in diesem kreativen Team kam jedoch möglicherweise erst im letzten Jahr hinzu. Jackson war immer noch unzufrieden mit vielen der rhythmischen Titel. Er wollte, dass sie härter trafen und sich kribbeliger anfühlten. Mit diesen Gedanken im Kopf streckte er seine Fühler nach dem damals 23-jährigen New Jack Swing Innovator Teddy Riley aus. Seit der Veröffentlichung von „Bad“ 1987 hatten sich R&B und Hip-Hop in eine Vielzahl von Richtungen entwickelt, es ging von provokativem staatsfeindlichem RAP bis zu sexueller Stumpfheit bei LL Cool J und aggressivem New Jack Swing bei Bobby Brown. Jackson wollte Elemente aus neuesten Innovationen und Sounds nehmen und sie miteinander verbinden, verzerren und mit seiner eigenen schöpferischen Vision verschmelzen. Während „Dangerous“ oftmals charakterisiert wird mit New Jack Swing – ohne Zweifel durch die Anwesenheit Teddy Rileys – ist Jacksons Ansatz klar erkennbar. Die Beats sind oft dynamischer und knackiger, die Rhythmen synkopischer und die Sounds instinktiver und industrieller. Bereits vorhandene Sounds werden überall als Percussion eingesetzt: hupende Hörner, schleifende Ketten, schwingende Tore, zersplitterndes Glas, zusammenkrachendes Metall. Häufig vollführt Jackson auch Beatboxing und abgehetzte Atemgeräusche und schnipst mit den Fingern.

    Nehmt einen Song wie „In The Closet“ und vergleicht ihn mit New Jack Swing der 80er oder frühen 90er Jahre. Die Unterschiede sind frappant. Hört euch die elegante Art an, wie das Piano den Weg für den erotisch kreisenden Beat bereitet. Hört euch an, wie der Song Spannung aufbaut und wieder loslässt, Spannung aufbaut und wieder loslässt bis schließlich bei 4:30 der Höhepunkt förmlich explodiert. Hört euch die wendige stimmliche Performance an, gedämpfte beichtende Erzählungen verdichten sich zu straffen Falsettharmonien, gleiten über in leidenschaftliche Seufzer, Keuchen und Aufschreie. Es ist Jacksons sexgeladenster Song und bedient sich dennoch der Unaufdringlichkeit und des Ränkespiels – selbst der Titel ziert sich, mit sexuellen Erwartungen zu spielen. Anders als bei den meisten R&B und Pop Songschreibern, liegen in Jacksons „Liebesliedern“ fast immer gewisse Doppeldeutigkeiten, dramatische Spannungen und Rätsel. Schaut euch auch „Dangerous“ an, in dem Text heißt es: „Tief in der Dunkelheit leidenschaftlichen Wahnsinns/ war ich ergriffen von der befremdlichen Unmenschlichkeit der Begierde“.

    Es ist jedoch die zweite Hälfte des „Dangerous“ Albums, die Jacksons künstlerische Bandbreite demonstriert. Im Anschluss an den deklarativen Blockbuster „Black Or White“ offenbart Jackson einen seiner eindrucksvollsten Songs seines gesamten Katalogs, das eindringliche Meisterwerk: „Who Is It“. All jenen, die immer noch dem Mythos aufsitzen, Jacksons Arbeit sei nach den 80ern schwächer geworden, sollte dieser Song bereits genügen, ihre Meinung zu entkräften. Der Song wurde nicht nur meisterhaft produziert (und wetteiferte mit „Billy Jean“), es zeigt Jacksons emotionalstes Inneres: „Ich ertrage es nicht mehr, denn ich bin einsam“. „Give In To Me“ führt die düstere Melodie weiter, wobei Jackson hier nun seine angestaute Angst mit Hilfe von Slashs glühenden Gitarrengriffen entfesselt. Es ist ein Song, der sich neben der wechselseitigen Dynamik von laut/leise wie in „Nevermind“ oder der rauen, metallischen Struktur von U2s „Achtung Baby“ zuhause fühlt.

    Was kommt als Nächstes? Ein Präludium aus Beethovens 9. Symphonie natürlich, gefolgt von zwei Songs: „Will You Be There“ und „Keep The Faith“, die ihre Wurzeln im schwarzen Gospel haben. Bevor er wieder vollends zurückkehrt zum industriellen New Jack Swing des Titelsongs, beschließt Jackson das Album mit einer zärtlichen Äußerung über die Vergänglichkeit des Lebens („Gone Too Soon“), dazu inspiriert wurde er durch das AIDS Opfer Ryan White. Manche mögen diese vielseitige, maximale Annäherung an ein Album höhnisch betrachten. „Dangerous“ wurde kritisiert, es sei zu lang, übertrieben und verschwommen. Was in aller Welt, fragten Skeptiker, hatte ein Song wie „Heal The World“ auf dem gleichen Album zu suchen, auf dem auch „Jam“ und „Dangerous“ waren? Natürlich war „Heal The World“ ein Kontrast zu den anerkannten Sounds und Themen eines Albums wie „Nevermind“. Jackson hätte mit Leichtigkeit diesen Weg gehen können, indem er den sieben rhythmischen Songs auf seinem Album, die er mit Teddy Riley erschaffen hatte, noch einige mehr hinzugefügt hätte. Letztendlich war es eine ästhetische Auswahl. Jackson legte sehr viel Wert auf Vielfalt und Kontraste, sowohl klanglich als auch thematisch. Er liebte die Vorstellung, das Publikum mit ungewöhnlichen Klangsequenzen oder unvorhergesehenen Gemütswechseln zu überraschen. Wenn R&B es traditionell nicht schaffte, gewisse Emotionen zu transportieren, so fand er einen Stil, der genau das konnte (damit verwandelte er das epische, bibelverwurzelte Pathos von „Will You Be There“ in Klassik und Gospel). Alben, so glaubte er, seien Reisen und wie er später bezüglich seiner „This Is It“ Konzerttournee erklären sollte, wollte er die Menschen mitnehmen an Orte, die sie niemals zuvor gesehen haben.

    Ungeachtet stilistischer Vorlieben muss es doch möglich sein, wenigstens den Mut und die reine Begabung eines Künstlers anzuerkennen, der fähig war aus solch unterschiedlichen Quellen zu schöpfen und in einer solch großen Vielfalt von Genres Musik zu erschaffen. Könnte Axl Rose New Jack Swing machen? Hätte Curt Cobain Hip-Hop machen können? Hätte Chuck D Gospels machen können? Michael Jackson hingegen arbeitete genauso wunderbar mit Slash zusammen wie mit dem Andrae Crouch Chor oder Heavy D.

    Was ist also 20 Jahre danach das Vermächtnis des „Dangerous“ Albums? Das Album war für Jackson ein künstlerischer Wendepunkt, hier lenkte er seinen Fokus stärker auf soziales Bewusstsein, ambitionierte Konzepte und eine breitere Palette von Sounds und Stilrichtungen. Außerdem beschreibt es den Gipfel an Ausdruckskraft im New Jack Swing und es leistete seinen Beitrag zum R&B der 80er und frühen 90er wie es Alben wie „Nevermind“ und „Ten“ für die Rockmusik taten. Seine R&B-RAP-Fusionen lieferten die Vorlage für kommende Jahre, indes machten ungleiche Künstler wie Nine Inch Nails und Lady Gaga seine industriellen Klangvorgaben und metallischen Beats später populär. In Bezug auf die allgegenwärtige Musikszene von 1991 – was für die Musikbranche ein wirklich bemerkenswertes Jahr war – mag es sein, dass das Album kulturell nicht so überwältigend war wie „Nevermind“, doch es war diesem Album (wie auch eine Handvoll anderer Aufnahmen) als eines der eindrucksvollsten künstlerischen Leistungen des frühen Jahrzehnts ebenbürtig.

    Letzten Endes mögen Nirvana und Company den Rock der 80er ausgerottet haben. Doch sollte die Popmusik tot gewesen sein, so hat der „King“ erfolgreich Alternativen dafür geschaffen.


    gott, wie ich mich auf das buch freue

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    • #77
      Ich mich auch, achildsbliss, ich freue mich sehr darauf. Danke für´s einstellen

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      • #78
        Ich bringe das mal hier hin, weil es nicht nur zum Thread "Was liest du gerade" gehört, sondern auch hierhin:

        Ich lese gerade "Man in the Music - The creative Life and Work of Michael Jackson" von Joseph Vogel. Das ist sooo schön! Da geht mir das Herz auf. Er hat genau erfasst, was diesen wunderbaren Künstler und Menschen Michael Jackson ausmacht. Und es wird einem leider auch wieder sehr bewußt, was die Welt mit ihm verloren hat. Es sollte mehr solcher Menschen geben wie Michael und auch Joe Vogel, die das Schöne auch erkennen können. Aber leider haben die "Kleingeister" immer noch Oberhand.

        Ich kann nur sagen: Es ist umwerfend schön!

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        • #79
          Ich glaube, daß die künstlerische Bedeutung eines Michael Jackson in Zukunft als größer wahrgenommen wird, als es zu seinen Lebzeiten und auch heute noch wird. Wenn unbefangenere Musikkritiker mit einem gewissen zeitlichen Abstand seine Leistungen durchleuchten, bin ich mir sicher wird er als einer der bedeutendsten und vielseitigsten Künstler der Musikgeschichte eingehen.Joe Vogel ist einer von den Kritikern, die seine musikalische Leistung, mit dem historischen Hintergrund betrachten und sich nicht durch Äußerlichkeiten oder seinen außergewöhnlichen Lebensstil ablenken lassen.Leider haben das viele sogenannte Kritiker zu Michaels Lebzeiten nicht getan, sie haben mehr auf seine äußerliche Verwandlung geachtet, statt sich mit der Musik und seinen Aussagen die er mit Hilfe der Musik machte, zu beschäftigen. Sie haben ihn auch in künstlerischer Hinsicht nicht verstanden und wollten es auch nicht. Ich denke, Michael Jackson wird in Zukunft ehrlicher in seiner künstlerischen Arbeit bewertet werden, er war eben seiner Zeit immer etwas , auch den Kritikern, voraus, die zukünftige Generation wird dem Rechnung tragen.

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          • #80
            Huch, da hab ich ja das Release-Datum des Buches verschlafen. Irgendwie hatte ich Hinterkopf, dass erst Anfang November veröffentlich wird.
            Wo habt ihr es euch denn bestellt? Amazon schreibt von 1-3 Wochen Lieferzeit.

            Bin wirklich sehr gespannt auf das Buch und freue mich sehr. Schon schlimm eigentlich, dass erst Ende 2011 das erste Buch herauskommt, das sich hauptsächlich mit MJs Musik auseinandersetzt.

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            • #81
              Mein Buch ist endlich angekommen.

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              • #82
                ... ich hatte es vorbestellt bei amazon und hab's schon anfangs der letzten oktoberwoche bekommen .. und bin bis jetzt begeistert. Es kam gerade zur rechten zeit in der heissen phase des prozesses und bildete zu der angespanntheit ein seeeehr gutes und wohltuendes gegengewicht. Vorläufiges review steht im 'Was lest ihr ...' thread.

                With L.O.V.E. and respect
                Lg rip.michael

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                • #83
                  Meins kam heut auch an Ich musste sofort drin herum stöbern, endlich mal ein Buch mit einer gewissen Qualität. Jetzt musst ich es aber beiseite legen, sonst kommen andere Dinge zu kurz. Und wenn diese Dinge erledigt sind, schenke ich es mir zur Belohnung

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                  • #84
                    .. gute idee Zodiac ... auf die belohnung kannste dir echt freuen!
                    Jaja, manches kommt um so besser ... wenn man die erwartung des genusses eine kleine weile rauszögert ...

                    With L.O.V.E. and respect
                    Lg rip.michael

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                    • #85
                      Eine Review von Lauren Trainor, MJ-Tribute Portrait, von Joe Vogels Buch Man In The Music



                      Danke, dass du Michael der Welt so zeigst, wie er für immer sein wird…The Man In The Music

                      Unter all den aufrichtigen Statements und Tributes, kam eine der innigsten und aussagekräftigsten Eulogien von dem langjährigen Freund Michael Jacksons, Stevie Wonder. Wonder sah Jackson natürlich niemals performen, er wurde nie Zeuge der Veränderungen seines Erscheinungsbilds, er sah nie die Musikvideos, Kostüme oder Masken. Trotzdem kannte er Jackson auf einer viel tieferen Ebene als die meisten. Und er hörte seine Musik. Michael, sagte er immer, war ein Geschenk.

                      Vor ein paar Monaten bekam ich von Joe Vogel die Gelegenheit, sein neues Buch “The Man in the Music: The Creative Life and Work of Michael Jackson” zu begutachten. Ich sagte sofort zu, denn ich wusste, dass es die erste in die Tiefe gehende Analyse von Michaels Kunst sein würde, der erste Meilenstein, um klar zu definieren, wer Michael war, und warum er so vielen Menschen soviel bedeutet. Er sagte uns, dass wir, wenn wir ihm nahe sein wollten, seiner Musik zuhören sollten, denn darin würden wir seine Seele und seine Liebe finden. Nach Juni 2009 tauchte ich in den Sound, und die Lyrics und die Emotionen dieser einmaligen Stimme ein, in dieses umfangreiche Schaffenswerk, und ich fand Trost inmitten der Konfusion und den Gefühlen über diesen tiefen Verlust.

                      ....hier gehts weiter mit der Übersetzung...http://all4michael.com/2011/11/06/re...-by-joe-vogel/

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                      • #86
                        ich hab auch noch was von joe vogel, ein artikel aus dem "voices education project", hier könnt ihrs finden...

                        Browse through Education essays and find over 35k essay examples in our database | ✔️ Successful graduation with WritingBros!


                        ich habs mal übersetzt, damit alle es lesen können...

                        Bin ich das Biest, das du dir vorstellst? Der kulturelle Missbrauch Michael Jacksons
                        Von Joe Vogel

                        In den letzten Wochen haben wir ständig gehört, dass es nicht Michael Jackson ist, der vor Gericht steht, sondern Conrad Murray. Aber wir wissen natürlich, wie die Wirklichkeit aussieht. Das hier ist der „Prozess über Michael Jacksons Tod“. Er ist, wie es immer schon war, die Hauptfigur, das aufreizende Schauspiel. Es ist Michael Jackson, der unter dem Mikroskop liegt, während wir, wieder einmal, neugierig in seinem Haus, seinen Krankenakten und seinem Körper herumschnüffeln. Und nun, da das Publikum nach Jacksons Tod größtenteils verständnisvoller geworden ist, bleibt er doch das Objekt endloser Untersuchungen und Beurteilungen.

                        Spielt das denn noch eine Rolle, jetzt, da der Mensch selbst den Missbrauch nicht mehr spüren kann? Sollte es den Durchschnittsmenschen kümmern, ob eine „Berühmtheit“ wie Jackson herzlos geringschätzend behandelt wird? Projekte wie „Voices“, deren „Words and Violance“-Serie die verstörende Flugbahn unseres gesellschaftlichen Diskurs hervorhebt, sagt JA. Worte sind von Belang. Egal auf wen sie abzielen. Worte können, wie wir erst kürzlich bei jugendlichem Mobbing und Selbstmorden miterlebt haben, zu verheerenden dramatischen Ausgängen führen.

                        Genauso können sie auch benutzt werden, um zu beflügeln und zu heilen.

                        Michael Jackson wusste das. 1988 schloss er mit dem AIDS-Opfer Ryan White, einem Jungen aus Kokomo, Indiana, Freundschaft. White war aufgrund unaufhörlicher verbaler Attacken und Gewaltandrohungen gezwungen worden, die Schule zu verlassen. Jackson gab ihm, so White, das Gefühl, „normal“ zu sein. „Michael interessierte es nicht, welcher Rasse du angehörtest, welche Hautfarbe du hattest oder welche Behinderung“, erinnert sich Ryan Whites Mutter Jeanne. „Er liebte einfach alle Kinder.“

                        White ist einer von Tausenden von „Außenseitern“, denen Jackson sich zuwandte, mit denen er Freundschaft schloss und denen er mit Liebenswürdigkeit begegnete. Er identifizierte sich mit ihnen. Er verstand ihren Schmerz und ihre Einsamkeit. Er hatte Mitgefühl mit ihrem Kampf, in einer Welt zu leben, die sich weigerte, sie so, wie sie waren, anzunehmen, ob nun wegen einer Krankheit, ihrer physischen Erscheinung, ihrer Rasse, ihrer sexuellen Orientierung oder aus anderen Gründen.

                        Schon als Junge besaß Jackson dieses Einfühlungsvermögen. Hört euch den Song „Ben“ an. In der Art, wie Jackson den Song abliefert, finden sich aufrichtiger Schmerz und Mitgefühl (Sie sehen dich nicht so, wie ich dich sehe/ Ich wünschte, sie würden es versuchen). Den Song kann man als eine der ersten künstlerischen Stellungnahmen Jacksons ansehen, gesungen im Namen all derer, die ins Abseits gedrängt und missverstanden werden. Viele weitere sollten folgen.

                        Jacksons Außenseiterrolle begann schon während seiner Kindheit (da es nie eine Zeit gab, in der er sich als „normal“ empfand und auch nie eine Zeit, in der er so wahrgenommen wurde). Doch die Heftigkeit der Feindseligkeiten, die ihm durch sein „Anderssein“ entgegenschlugen, wurde mit der Zeit immer stärker. David Yuan behauptete in seinem 1996 geschriebenen Essay „Der berühmte Freak: Michael Jacksons grotesker Ruhm“, dass Michael Jackson der festgelegte Freak unserer Zeit sei. Keine andere öffentliche Person der Welt rief einen derartigen Level an Lächerlichmachen, extremster Musterung und „Hyper-Infrage-stellen“ hervor. Bereits 1985 wurde Jackson von der Klatschpresse als „W****J****“ bezeichnet, einer Bezeichnung, die er hasste. In der Presse wurde er stets mit „bizarr“, „verrückt“ und „exzentrisch“ beschrieben. Tatsächlich wurde kaum etwas, was er Mitte der 80er sagte oder tat von den Medien anders bezeichnet.

                        Jackson wurde ununterbrochen wegen seiner Vitiligo-Erkrankung verspottet, von der die meisten Leute glaubten, er habe diese Krankheit nicht wirklich, bis sie schließlich im Obduktionsbericht definitiv bestätigt wurde. Er wurde wegen seiner Liebe zu Tieren, seiner Liebe zu Kindern und seiner Liebe zu unserem Planeten verspottet. Er wurde wegen seiner Ehen, seiner Kinder und seiner Neverland-Ranch verspottet. Man machte sich über seine Sexualität, seine Stimme und sein kindliches Verhalten lustig. Selbst bei Rezensionen über seine Musik konnte man nicht widerstehen, Pseudo-Psychoanalysen und persönlichen Beleidigungen den meisten Platz einzuräumen. Kann es einen Zweifel daran geben, dass diese Behandlung durch die Medien und die Kultur größtenteils missbräuchlich war?

                        Das Opfer dieser unmenschlichen Angriffe fühlte sich ganz sicher so. Hört euch die Texte seiner Songs an. In „Tabloid Junkie“ beschreibt er die Medien als „Parasiten“, die ihm das Leben aussaugen, während sie die allgemeine Öffentlichkeit mit stetigen Dosen von Sensationsmache betäuben und verwirren. In „Stranger In Moskow“ ist er ein Künstler im Exil, der von seinem eigenen Land, in dem er geboren wurde, aufgezehrt und wieder ausgespuckt wird. „Ich lief im Regen herum“, singt er in der Rolle eines einsamen Vagabunden, „hinter Masken/ fühle mich, als sei ich wahnsinnig“.
                        In „Scream“ ist er es leid, herum geschubst zu werden, er fleht: „Oh Bruder, bitte hab Gnade, denn ich halte es nicht mehr aus.“ Der Song dient jedoch auch als Medium von Stärke und Entschlossenheit (Treten sie mich nieder, muss ich wieder aufstehen). Michael und seine Schwester Janet liefern einen heftigen Schlag gegen das System, das sie sehr richtig als korrupt und ungerecht ansehen. In einem Vers singt Janet „Ihr betreibt einen Ausverkauf von Seelen und ich mache mir Gedanken um meine.“ Es ist ein herausfordernder Song darüber, sich gegen Grausamkeiten zur Wehr zu setzen, auch wenn der Schmerz und die Empörung so tief sind, dass sie nur in einem Schrei ausgedrückt werden können, der tief aus der Kehle kommt.

                        In zahlreichen Songs benutzt Jackson die Musik gleichsam als gebündelten Aufschrei all derer, die schlecht behandelt werden. In „They Don’t Care About Us“ legt er Zeugnis ab für all jene, die erniedrigt und ihrer Bürgerrechte beraubt wurden. „Sagt, was wurde aus meinen Rechten, bin ich unsichtbar, nur weil ihr mich ignoriert?“, singt er dort. In „Little Susie“ richtet er die Aufmerksamkeit auf die Not der Vernachlässigten und Verlassenen, indem er die Geschichte eines Mädchens erzählt, dessen Gabe unbemerkt bleibt, bis es tot am Fuße der Treppe ihres Hauses gefunden wird. („Hebt sie ganz vorsichtig hoch“, singt Jackson, „Blut ist in ihrem Haar“). Der „Earth Song“ liefert eine epische Wehklage im Namen unseres Planeten und seiner verwundbaren Einwohner (repräsentiert durch die leidenschaftlichen Ausrufe des Chors: Was wird aus uns?). Durch solche Songs (wie auch durch sein ganzes Leben und seine ganze Persönlichkeit) wurde Jackson zu einer Art globalem Repräsentanten der „Anderen“.

                        ...geht noch weiter...

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                        • #87
                          Die Massenmedien jedoch hielten nie sonderlich viel von Jacksons „Anderssein“, genauso wie sie nie viel von den „Anderen“ hielten, von denen er in seinen Songs sprach. Sie fanden wohl eher eine einfache, profitable Geschichte – Jackson als exzentrischer „Freak“ – und an dieser Geschichte hielten sie nahezu 30 Jahre fest und sie erhöhten stets und ständig ihren Einsatz.

                          Die fesselndste Reaktion Jacksons auf die öffentliche Wahrnehmung von ihm kommt wahrscheinlich in diesen drei Songs zum Ausdruck: „Ghosts“, „Is It Scary“ und „Threatened“. Hier hält Jackson der Gesellschaft den Spiegel vor, die ihn verachtet und er verlangt von ihr, in ihr eigenes groteskes Spiegelbild zu blicken. „Erschreckt dich das?“, fragt er. Die Songs, mit den sie begleitenden bildlichen Darstellungen, sind nicht nur extrem selbstbewusst, sie demonstrieren auch sein sehr scharfsinniges Verständnis der giftigen Mächte, die ihn umgeben und jagen.

                          In dem Kurzfilm „Ghosts“ verhöhnt der Bürgermeister (eine konservative Autoritätsperson, inspiriert von DA Tom Sneddon) von „Normal Valley“ Jacksons Charakter: „Freaky Boy! Freak! Zirkusfreak!“ Interessanterweise ist es Jackson selbst, maskiert als Bürgermeister, der diese Worte sagt und man kann spüren, wie sehr er sie verinnerlicht hat. Es sind Beleidigungen, die beschmutzen und demütigen sollen (was sicher 1993 und 2005 auch der Zweck der Jagd auf Jackson war). Für den Bürgermeister ist Jacksons Anwesenheit in der Gemeinde nicht zu tolerieren. Es ist nicht so, dass Jackson irgendwem wehgetan hätte, es ist einfach, weil er anders ist und Anderssein bedrohlich ist.

                          In solch künstlerischen Ausdrucksformen erkennt Jackson ganz klar, was ihm angetan worden ist. Er wurde von äußeren Mächten in eine Schublade gesteckt. Er ist ein Phantom, das sie sich in ihren eigenen Köpfen erschaffen haben, wie er in „Is It Scary“ singt. „Wenn du exzentrische Seltsamkeiten sehen willst, werde ich vor deinen Augen grotesk“. Das heißt mit anderen Worten, dass er grotesk sein wird, weil es genau das ist, „was das Publikum sehen will“. Sie wurden so konditioniert, genau das zu sehen. Später in diesem Song nimmt er die Reaktionen des Publikums vorweg, indem er fragt: „Amüsiere ich euch/oder verwirre ich euch nur/bin ich das Biest, das ihr euch vorstellt?“ Wurde er weniger als ein Mensch? Warum? Ist es seine physische Erscheinung? Seine mehrdeutige Identität? Seine ungewöhnliche Lebensgeschichte? Keine Frage, Michael Jackson war anders. Die Frage ist, warum dieses „Anderssein“ eine solch glühende Herabwürdigung und Verunglimpfung entfachte.

                          Eine der bemerkenswertesten Qualitäten von Michael Jacksons Leben und Werk besteht jedoch darin, dass er sich weigerte, sein Anderssein aufzugeben. Er wird niemals „normal“, wie es, sagen wir, vom Bürgermeister von Normal Valley erwartet wird. Er passt sich keinen Erwartungen an. Lieber bleibt er sich selbst treu und stellt seine einzigartige, facettenreiche Identität zur Schau, zum Verdruss all derer, die sich wünschen, er möge in vorhersehbarere Schubladen passen. Seine Andersartigkeiten, wie Susan Fast schreibt, waren „undurchdringlich und unerschöpflich und riefen große Beunruhigung hervor. Sei doch bitte schwarz, Michael, oder weiß oder schwul oder hetero, Vater oder Mutter. Sei deinen Kindern ein Vater, aber sei doch bitte nicht selbst Kind, damit wir endlich wissen, auf wen wir unsere liberale (In)Toleranz richten sollen. Und versuch doch bitte nicht, alle gleichzeitig mit Kodes zu verwirren“.

                          Selbst über zwei Jahre nach seinem tragischen Tod, scheint es so zu sein, dass die Menschen immer noch nicht wissen, was sie mit Jackson anfangen sollen. Deshalb wird er einfach auf einen „Medikamentenabhängigen“ reduziert. Herzlos pflastert ein Foto seines leblosen Körpers die Nachrichtenseiten. Ein grausames, missbräuchliches Verhalten, unter dem Deckmantel „normal“. Vielleicht nutzte Jackson deshalb einen Gruselfilm als Medium, um sich zu wehren. Es war sein Weg, den Spieß umzudrehen, um symbolisch die Welt so darzustellen, wie er sie oft empfand: monströs und grotesk. Seine „Horrorstorys“ waren sicherlich nicht dafür vorgesehen, einfach nur zu unterhalten.

                          „Freaks werden Freaks genannt“, bemerkt Autor James Baldwin, „und sie werden behandelt, wie sie behandelt werden – in der Hauptsache abscheulich – weil sie Menschen sind, die tief in uns unsere grundlegendsten Ängste und Wünsche widerspiegeln.“ Doch so sehr Jackson zum symbolischen Magnet wurde, auf den diese kulturellen Ängste projiziert wurden, so war er doch auch ein Mensch aus Fleisch und Blut, der versuchte, sein Leben zu leben. Gegen Ende von „Is It Scary“ singt er: „Ich bin einfach nicht das, was ihr in mir sucht“, bevor er dem leidenschaftlichen Zuhörer offenbart: „Doch wenn ihr euch aufmacht/ die Wahrheit und Reinheit zu erkennen/ liegt sie hier in einem einsamen Herzen/ als lasst die Performance beginnen!“

                          Ironischerweise finden wir diese Wahrheit und Reinheit in der Performance seiner Kunst. Hier treibt er seine Dämonen aus, dort wo seine Qual sich in schöpferische Energie verwandelt. Hier stürzen Mauern ein und Masken fallen. Für die Außenwelt mag er in Spektakel sein, eine Karikatur, ein Freak; doch hier, in seiner Musik, offenbart er letztendlich seine Seele. Er ist ein Mensch.

                          Die Frage ist: Was sehen wir?


                          ah übrigens: ich hab mein buch auch endlich

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                          • #88
                            Ich muß jetzt mal ein riesengroßes Dankeschön für die wertvollen Übersetzungen aussprechen !
                            Habe mir alles abgespeichert und war tief beeindruckt von den Aussagen in diesem Buch !

                            Kommentar


                            • #89
                              Zitat von achildsbliss Beitrag anzeigen
                              ah übrigens: ich hab mein buch auch endlich
                              ....ich auch.........es ist wirklich wunderschön.........und eine erneute Herrausforderung mein Englisch aufzubessern.....

                              Dank an euch....ihr Übersetzerbienchen......hier und *drüben*.....!!!!

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                              • #90
                                heute morgen hab ich wieder mal ein bisschen in meinem lieblingsbuch gelesen, vielleicht mögt ihr an dem teilhaben, was ich dabei empfunden habe... dafür braucht ihr das hier nur zu lesen...

                                stevie wonder bei michaels memorial...

                                Unter all den aufrichtigen Äußerungen und Tributs kam eine der intimsten und kraftvollsten Lobpreisungen von Jacksons langjährigem Freund und Kollegen von Motown, Stevie Wonder. Natürlich sah Wonder Jackson niemals performen, er sah auch die Veränderungen in seinem Erscheinungsbild nie, er sah nie die Videos, Kostüme oder Masken. Er kannte Jackson jedoch auf einer viel tieferen Ebene als die meisten. Und er hörte seine Musik. Michael, so sagte er oft, war ein Geschenk.

                                "...Inmitten des Medienwahnsinns, der auf Jacksons Tod folgte, gab Stevie Wonder keine öffentlichen Statements ab und trat auch nicht in Erscheinung. „Er ist gefühlsmäßig sehr bestürzt und zieht es vor, still zu bleiben“, sagte ein Vertreter. Wochen später, als er bei Michaels Memorial die Bühne betrat, wurde klar, dass er noch immer am Boden zerstört war. „Dies ist ein Moment, von dem ich mir wünschte, ihn niemals erlebt haben zu müssen“, sagte er. Als er jedoch anfängt die Eröffnungsakkorde für „I Can’t Help It“ zu spielen – ein Song, den er 1979 für Michaels „Off The Wall“ Album geschrieben hatte – schien er Jacksons Energie durch sich hindurch zu leiten, diese vertraute und dennoch fremde Mixtur aus Sehnsucht gefärbt mit Traurigkeit.

                                In dem Medley, das darauf folgte – eine leidenschaftliche Kombination aus „Never Dreamed You’d Leave in Summer“ und „They Won’t Go When I Go“ – versetzt Wonder die Menschen durch die Musik in die Lage, gleichzeitig wieder zu Kräften zu kommen, zu weinen und Zeugnis abzulegen. „Keine lügenden Freunde mehr/die sich ein tragisches Ende wünschen“, sang er im letzteren Song, während ein stilles Publikum ihm zuhörte. Es war ein tiefgründiger Gospelsoul, der einen tiefen, persönlichen Schmerz heraufbeschwor, der bis in die Eingeweide drang. Es war ein Song über den Verlust eines Freundes, nicht den einer Ikone.

                                Doch es war nicht einfach ein Verlust, den Wonder vermittelte, es war regelrechte Empörung. „Unreine Ansichten verführen die Reinheit“, schrie er heraus. „die der Unschuldige ganz sicher hinterlassen wird / für ihn gibt es einen Ort der Ruhe.“ Als der Song seinen emotionalen Höhepunkt erreicht hatte, ließ ein von Schmerz geplagter Wonder auch noch das letzte Quäntchen Soul in ihn hineinfließen, gleichsam als ob diese gesungenen Worte den ihn umgebenen Zirkus, das bedeutungslose Spektakel, schließlich durchdringen und das Wesentliche, die Menschlichkeit und Tragödie von Michael Jackson ans Licht bringen könnten.

                                „Michael, sie werden nicht gehen“, schrie er. „sie werden nicht dorthin gehen, wo du bist“. Als Wonder seinen Song beendete, applaudierte die Menge, doch wie Michael schien auch er an einem anderen Ort zu sein..."

                                liebe grüße
                                achildsbliss

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