So, so Frauen gucken als erstes auf den Penis, kann ich so nicht bestätigen, ich guck erst als zweites auf denselbigen, wenn es mir interessant erscheint, aber meist ist es eher uninteressant.
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Keine Ankündigung bisher.
warum MJ noch immer als K*** , Veräter ..., Verleugner ..... u.m. beschrieben wird
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Zitat von Dreamerdancer Beitrag anzeigenAlso, ich sehe da nix blitzen im YANA Clip, aber vielleicht hab ich es mir nicht mit Brille angesehen.
So, so Frauen gucken als erstes auf den Penis, kann ich so nicht bestätigen, ich guck erst als zweites auf denselbigen, wenn es mir interessant erscheint, aber meist ist es eher uninteressant.
Jedenfalls wäre mir nicht in den Sinn gekommen, das bei ihm "in dieser Region" nichts sein soll und viele nur darauf gewartet haben, das er einen Beweis liefert
Aber wie @ rip schon erwähnte, ich finde die Spekulationen in den Medien um seinen "sexuellen Status" auch a) uninteressant b) langweiig und c) ausgelutscht.
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Hab grad ein Bild gefunden, das ich das letzte mal vor vielen Jahren im B&W-Magazin, einer ehemaligen Fan-Zeitschrift, gesehen habe. Kein spektakuläres Bild, kein Bild, mit dem sich Kasse machen lässt, aber ein Bild, das mir in Erinnerung geblieben ist. Muss so ca. 98/99 in Japan auf einer Krankenstation für Kinder gewesen sein. Nicht jedes Bild sagt tausend Worte, aber dieses schon, finde ich ..
bacio-bimbo.jpg
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was für ein berührendes Bild..
zum länger betrachten, voller Güte Menschlichkeit, Mitfühlen.....
danke fürs Foto.
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Ein weiterer Artikel von Karla Schmidt
http://www.karla-schmidt.de/?p=752
Gravitation verstehen – vorsichtige Annäherung an Michael Jackson
Ein nasskalter Sommertag, wir fahren zu schnell. Links eine Felswand, rechts ein Wall aus Geröll, die Straße führt um einen See herum. Wir sollten jetzt abbremsen, nach rechts einschlagen. Doch wir halten weiter auf den Höhenzug zu, jeden Moment muss Realität eintreten: ein Aufprall, reißendes Blech, verpuffendes Benzin. Stattdessen verschwindet der Wagen und wir mit ihm. Scheinwerfer holen Tunnelwände aus dem Nichts, erschaffen von Augenblick zu Augenblick die Straße vor uns. Wir fahren und fahren, und ich lausche dem Singen der Reifen, das mich von allen Seiten einzulullen beginnt. Wir sind unterwegs in eine deutsche Großstadt, zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung anlässlich von Michael Jacksons Todestag.
Trommelwirbel
Noch nie habe ich einen solch gravierenden Regen erlebt, ein immenses Solo geht auf das Wagendach nieder. Mit was für einer Leidenschaft die Natur sich äußert! Was für eine Konsequenz! Vor uns auf der Straße tauchen die verwaschenen Umrisse eines Lastwagens auf, mannshohe Reifen schaufeln Schmutzwasser über uns, die Scheibenwischer versagen.
„Ich überhol den mal besser“, ruft meine Freundin gegen das Trommeln an. Sie zieht nach links, beschleunigt.
Von diesem Augenblick an gibt es keine Lücke mehr zwischen uns und der Welt, gelb und braun drängt sie von allen Seiten gegen die Wagenscheiben. Wir fahren unter Wasser. Der Augenblick dehnt sich, eine Kraft geht von dem Lastwagen neben uns aus, wie Höhenangst: man muss Abstand halten, weil die Anziehung des Abgrunds so groß ist. Es gibt keine Straße mehr, keinen Horizont, nur noch Trommeln, Blindheit und das Warten auf den Knall. Meine Freundin packt das Steuer fester und gibt Gas.
Spotlight
In der deutschen Großstadt werde ich Zeugin einer Geisterbeschwörung: Verkleidete Leute stehen herum und versuchen bad auszusehen. Keiner von ihnen füllt seinen Anzug aus, viele wirken verloren. Ob diese Form des aktiven Nachverstehens hilft, die Leidenschaft der Fans auf die Passanten zu übertragen, damit sie Geld für den guten Zweck spenden?
Ich beobachte Tanzkurse für Beat it und Thriller, Umarmungen, Tränen. Innerlich bleibe ich auf Distanz. So sehr ich das humanitäre Engagement respektiere, die Form der Huldigung bleibt mir fremd.
Auf dem Platz gibt es eine öffentliche Toilette, die nach und nach von all den Jackson-Inkarnationen aufgesucht wird. Die Wände der Kabine sind nachtblau, von oben brennt ein einzelner Spot herab. Ich denke an eine Anekdote über Michael Jackson auf dem Klo, als er von einem Jungen gefragt wurde, ob er denn auch auf die Toilette ginge. Jackson war zu perplex, um darauf zu antworten.
Dann denke ich an den Mitschnitt einer Billie Jean-Performance: Strasshandschuh, Paillettenjacke und Fedora. Popping and Locking, klassische Pantomime, intensiver Kontrast zwischen hell und dunkel, zwischen eckigen und fließenden Bewegungen, der Griff in den Schritt, der paradoxe Moonwalk, und ein einzelner, gleißend heller Verfolger auf der ansonsten dunklen Bühne. Inbegriff von Bühnenmagie. Und letztlich wofür? Um erst vergöttert und dann in Stücke gerissen zu werden?
Durch den Lichtkegel in der Toilettenkabine schweben Staubpartikel wie Plankton in der Tiefssee. Ich befinde mich mal wieder unter Wasser.
Unter Wasser atmen
In einer meiner frühesten Erinnerungen sitze ich in einer fremden Stadt am Boden eines Brunnens. Sonnenlicht fällt durch die Wasseroberfläche auf bunte Mosaikfliesen am Beckengrund und erschafft Farben, die es gar nicht gibt. Alles ist auf weißblaugoldene Art friedlich, ich atme tief, das Wasser ist um mich und in mir und ich fühle mich für immer aufgehoben. Ich will in diesem Glück aus Licht und Farben bleiben, bin hier willkommen.
Frank Cascio erzählt1, wie Jackson einmal voll bekleidet in den Whirlpool gesprungen, untergetaucht und dann lange nicht wieder aufgetaucht ist. So lange nicht, bis er ihn, mittlerweile in Panik, aus dem Wasser zerrte.
Jackson ging es gut. Er war nur plötzlich von einer, wahrscheinlich schmerzmittelinduzierten, inneren Ruhe erfüllt gewesen und unter Wasser eingeschlafen.
Dumpfe Stimmen dringen zu mir durch, und als man mich aus dem Wasser reißt, bleibt ein Stück von mir in dem Brunnen zurück. Ich sehne mich oft dorthin zurück.
Es heißt, Künstler schaffen aus Angst vor dem Tod und dass sie ihre Seele in die Leinwand weben oder sie zwischen die Zeilen flechten, damit sie überlebt. So betreiben sie uralte Spinnenmagie.
Vielleicht schaffen sie aber gar nicht aus Angst, sondern um ihren ureigenen Ort des Aufgehobenseins, an dem Leben und Tod dasselbe sind, wiederzufinden. Mit jeder Zeile, mit jedem Pinselstrich und jeder Note versuchen sie, wenigstens einen kurzen Blick auf den Brunnen zu erhaschen. Es geht darum, nur einmal noch, unter Wasser zu atmen.
Michael Jackson – muss das sein?
Ein Jahr zuvor. Ich stehe in der Küche, schneide Zwiebeln, heule vor mich hin. Meine achtjährige Tochter brüllt aus ihrem Zimmer heraus gegen die laufende Spülmaschine an:
„Mama, kriege ich eine Michael Jackson CD?“
„Was? Warum das denn plötzlich?“, brülle ich zurück.
Sie taucht in der Küchentür auf. „Pamela ist Michael Jackson Fan. Sie ist sogar in ihn verliebt.“
„Ach, deshalb.“
„Und er macht tolle Musik.“
Bin ich als Kind verblödet, weil ich mein Taschengeld für Barbies gespart habe? Warum also nicht der King of Pop für meine Tochter? Vielleicht ist dann auch endlich mal die ABBA-Phase vorbei.
„Und, kriege ich eine CD?“
Eigentlich habe ich keine Lust, Geld dafür auszugeben. Vielleicht verschwindet der Wunsch wieder, wenn ich ein bisschen warte.
„Mal sehen, Mäuschen. Vielleicht finden wir ja auf dem Flohmarkt eine.“
Niemand weiß bisher wirklich, wie Gravitation entsteht. Es hat etwas mit der Korrelation von Masse und Beschleunigung zu tun, und dunkle Materie, eine bislang unergründliche Existenz, spielt wohl ebenfalls eine Rolle. Gewichtiges jedenfalls hat die Tendenz, sich mit mehr Gewichtigem zusammenzutun und sich so dicht wie möglich zusammenzudrängen. So entstehen Gaswolken, Planeten, Sterne und schwarze Löcher.
Wenn ich die Physik der Gravitation auch nicht begreife, weiß ich doch, dass sie Voraussetzung für Leben ist. Sie hält die Erde in der Umlaufbahn und die Dinge am Boden. Die schwersten Sterne sind auch die hellsten und heißesten. Sie brennen oft nur Millionen Jahre, während die durchschnittlichen, wie unsere Sonne, leicht 10 Milliarden Jahre schaffen.
Doch sind es die schweren Sterne, die unter dem Gravitationsdruck schließlich zusammenfallen und dabei all die Elemente erschaffen, die Leben auf Planeten wie unserem erst ermöglichen. Auch sind die Massen von Mond und Sonne immer in Resonanz mit der Erdmasse. Ihre Gravitation zieht nicht nur das Wasser der Meere an, sondern alles Wasser: das in den Brunnen, Regengüssen, stillen Weihern, schlammigen Tümpeln, Whirlpools – und das in allen Leibern. Letztlich will alles Wasser = Leben immer dorthin, nach oben, zu den Himmelslichtern, um verbrannt und in neues Leben verwandelt zu werden.
Die Nasa zum Beispiel hat Milliarden investiert, um die Erdanziehung zu überwinden und die Idee eines Moonwalk zu verwirklichen. Wenn man das Wort in eine Suchmaschine eingibt, bekommt man als Ergebnis jedoch nicht zuerst Neil Armstrong, sondern den Mann mit Paillettenjacke und Fedora, der vorwärts und rückwärts zugleich über die Bühne gleitet. Es ist der Kerl mit dem Bühnentrick, der die Credits bekommt. Der Moonwalk sieht unendlich leicht aus – doch wer erst in seinen Anziehungsbereich geraten ist, kommt kaum wieder fort.
In der Schwebe zwischen Anziehung und Abstoßung
Im Internet kursiert ein Foto von Michael Jackson im hellen 30er-Jahre-Anzug mit blauer Armbinde, tief in die Stirn gezogenem Hut und Gamaschenschuhen – das Smooth Criminal Outfit. Jackson neigt sich, die Füße platt am Boden, im 45°-Winkel nach vorn. Darunter steht in fetten Buchstaben:
Fuck you, Gravity! I´m Michael Jackson!
Damit ein Künstler Schwerkraft entwickelt, muss ich mit ihm in Resonanz gehen. Wenn er mich zugleich anzieht und verärgert, abstößt oder ich seine Arbeit dumm und oberflächlich nenne, weil ich es nicht wage, den Kopf unter Wasser zu tauchen um zu schauen, was unter der Oberfläche geschieht, genau dann ist die Resonanz am stärksten. In der Mitte zwischen Schwerkraft und Fliehkraft entsteht freier Fall, ein Schwebezustand, in dem Gleiches sichtbar wird, das einander begegnen will. Gebe ich der Schwerkraft unkontrolliert nach, besteht die Gefahr von Absturz, Kollision, Ertrinken.
Eine Erinnerung, die noch weiter zurückreicht, als der Brunnen: Ich stehe auf dem Wohnzimmerteppich, eine persischer Garten in Gelb- und Grüntönen, in dem Elemente eines Musters zu invertierten Elementen anderer Muster werden. Alles ist außen und innen zugleich, und ich breite die Arme aus, hebe die Füße vom Boden und schwebe über den Teppich dahin, folge den Ornamenten und verliere mich darin. Ich habe keine Angst zu fallen, ich fliege ja nicht hoch, der Teppich ist weich, und sollte jemand hereinkommen, kann ich schnell die Füße auf den Boden stellen.
Auf dem Flohmarkt erstehe ich eine Doppel-CD mit Jacksons Hits. Die meisten Stücke kenne ich, ohne sie je bewusst gehört zu haben. Hymnen, Balladen, Soul, Funk, Rock. Eingängig, tanzbar, oft sentimental. Singen kann er ja schon, das muss ich zugeben. Aber der Earth Song ist so kitschig, dass es wehtut.
Noch halten sich Anziehung und Abstoßung die Waage.
Gravitation …
Meine Tochter hört die neue CD rauf und runter. Ich lächele, ein wenig von oben herab, werde jedoch zunehmend unsicher. Wie kommt ein immens reicher Popstar dazu, sich in They don´t care about us mit den Unterdrückten und Entrechteten dieser Welt gemein zu machen? Was weiß der schon von Straßenkämpfen und Polizeigewalt? Was hat es mit dem Stranger in Moscow auf sich? Ist das ein Relikt jener amerikanischen Urangst vor dem Kommunismus? Und wieso singt er, es sei egal, ob man schwarz oder weiß ist, wenn er selbst immer weißer wurde? Ist das eiskalte, kommerziell motivierte Heuchelei oder kompletter Realitätsverlust?
Je öfter ich bewusst zuhöre, desto weniger kann ich Jacksons Lyrics und die emotionale Aufrichtigkeit seines Gesangs in einen sinnvollen Zusammenhang bringen, ich habe keinen anderen Deutungsrahmen als jenen, den ich über Jahrzehnte unbewusst erworben habe: den der Sensationspresse, die Jackson als mehr oder weniger senilen Spinner beschrieben hat.
Was ich darum jetzt wahrnehme, sind unbegreifliche Unvereinbarkeiten. Da gibt es den netten jungen Mann von nebenan, den misogynen Macho, den exzentrischen Aristokraten, den asexuellen ebenso wie den höchst sinnlichen Jackson, den Mann, der sich nicht im Spiegel anschauen kann und den stolzen Swagger. Ich sehe den Zirkusdirektor und den Freak aus der Kuriositätenshow, den humanitären Heiligen und die Medienhure, … was steckt dahinter? Welche der vielen Verkörperungen ist „echt“? Und vor allem: warum beschäftigt mich das überhaupt? Nach all den Jahren, in denen mir Jackson vollkommen egal war, plötzlich: Gravitation!
… darf man nicht erklären
Ist Resonanz vorhanden, suche ich in der Begegnung mit einem Künstler und seiner Arbeit nach Selbsterweiterung. Wie alles im Universum bin auch ich bestrebt, meine (mentale und emotionale) Masse vergrößern.
Vor allem aber hoffe ich, einen erhellenden Blick auf die beiden großen Dunkelheiten des Daseins zu erhaschen: Was bedeutet es zu leben? Was bedeutet es zu sterben? Das ist es, was ich wissen will! Künstler, die keine Haltung zu diesen Fragen finden, lassen mich meistens kalt. Wo finde ich diese Selbsterweiterung, welches sind die Elemente, die Zuwachs versprechen?
Der schwerelos wirkende Moonwalk entsteht durch einen geschickten Wechsel der entgegengesetzten Kräfte Ziehen und Schieben. Der Lean basiert auf patentierten Schuhen, die auf einem Bolzen in der Bühne einrasten und so die Füße am Boden halten. Der Michael Jackson, der während der Dapngerous-Tour mit einem Jetpack auf dem Rücken über die Massen schwebt, ist ein Double, und wenn er mit Werwolfmaske in einem gläsernen Sarg verschwindet und Sekunden später auf einer Hebebühne über den Zuschauern erscheint, setzt er Playback und ein Körperdouble ein, um Zeit für den Kostüm- und Ortswechsel zu gewinnen.
Das herauszufinden, hat mich dem Verständnis von Gravitation jedoch nicht nähergebracht. Solange mir niemand erklärt hatte, dass ich in Wirklichkeit gar nicht fliegen kann sondern es mir nur vorstellte, konnte ich fliegen. Gravitation zu verstehen bedeutet nicht, den Trick zu entlarven. Verstehen bedeutet, den Zauber zu erleben. Es geht nicht um die Frage, wie ist es gemacht? Es geht um die Frage: Was macht es mit mir?
Begegnung mit dem Trickster
Ich sehe mir die Musik-Filme an, erkenne den versierten Dramaturgen der Persona „Michael Jackson“, bewundere den genialen Tänzer, lese Essays und Poesie eines Dichters, der mir manchmal unfassbar naiv und dann wieder fast erleuchtet erscheint, ich beargwöhne den kommerziellen Unterhalter, fremdele mit dem romantischen Verteidiger der Kindheit, hinterfrage die Schwerter-zu-Pflugscharen Symbolik der Militärjacken und Armbänder, wundere mich über den Kitschliebhaber, der sich als König, Heiligengestalt oder – nach einem Gemälde von John William Waterhouse – als Narziss, der sich im Wasser spiegelt, malen lässt. Ist da ein Funken Selbstironie zu spüren, oder ist all dieses Pathos aufrichtig?
Wenn Jackson auf der Bühne stand und ins Publikum blickte, sah er keine anderen Menschen, er sah sich selbst: Plakate mit seinem Konterfei, Massen, die seinen Namen skandierten, eine See von Armen, die in der Dünung seiner eigenen Rhythmen trieben. Jackson war eine Naturgewalt, wenn er auf der Bühne stand, er badete in sich selbst. Und wenn er nach Liebe rief, hörte er nur sein eigenes Echo. Gerade das Narziss-Selbstporträt bezeugt einen ebenso nüchtern-realistischen wie verklärenden Blick auf sich selbst. Schon wieder ein Widerspruch!
Was immer ich über Michael Jackson in Erfahrung bringe, provoziert neue Fragen, neue Widersprüche, und ich beginne zu ahnen, dass es kein Entweder-Oder gibt. Ich arbeite mich an einem Trickster ab, der sich ins Fäustchen lacht, an jemandem, der durch und durch ambivalent ist.
Trickster sind Kulturstifter, wie Prometheus, der Feuerbringer oder Anansi, der afrikanische Spinnengott, Netzespinner, Intrigenweber und Herr über alle Geschichten. Es ist nicht leicht, mit ihnen auszukommen, sie sind eine Herausforderung des Tolerierbaren, sind Mann/Frau, Erwachsener/Kind, Weiser/Narr sowie schwarz und weiß zugleich.
Sie sind einer unhintergehbaren Ethik des Lebens verpflichtet, kennen jedoch keine Moral. Ständig überschreiten sie schädlich gewordene Grenzen der Konvention und erweitern so die menschlichen Möglichkeiten. Sie leben intensiv und lassen uns sowohl an ihrer Ekstase als auch an ihrem unausweichlichen Schmerz teilhaben. Und wie Prometheus oder der allzu hell brennende Stern zahlen sie einen Preis für diese Intensität.
Nichtverstehen heißt erleben
Es ist die unaufgelöste Spannung, das „noch nicht verstehen“, das mich weiter in den Gravitationsschacht „Michael Jackson“ hineinzieht. Ich muss wissen, was geschieht, wenn ich tiefer tauche, und dazu muss ich mich in Bereiche begeben, die mir ungemütlich sind.
Was mich initial an Jackson abgestoßen hat – das Pathos, der naive, romantische Gestus – beginne ich zunehmend in mir selbst zu erkennen. Ist da etwas, das nach Anerkennung und Ausdruck verlangt? Ein Hang zum Sentimentalen, zum Gutmenschentum und zur großen Geste? Das sind natürlich fürchterlich uncoole Accessoires für jeden „ernsthaft“ Kulturschaffenden. Doch es ist zu spät, ich bin bereits ergriffen. Noch einmal: Wie funktioniert diese Magie?
Magie wird in der Unmittelbarkeit einer verblüffenden Erfahrung erlebt. Sie erzeugt einen zwingenden Moment, von dem man sich mittels Verstand und Urteilen nicht distanzieren kann. In Jacksons eigenen Worten:
„Meine Vorstellung von Magie hat nicht viel mit Bühnentricks und Illusionen zu tun. Die ganze Welt strotzt vor Magie. Wenn ein Wal aus der See taucht wie ein neugeborener Berg, schnappst du in unerwartetem Entzücken nach Luft. Welch Magie! Ein Kleinkind, das seine erste Kaulquappe durch einen schlammigen Tümpel flitzen sieht, empfindet dieselbe Erregung. Staunen erfüllt sein Herz, für eine Sekunde hat es einen Blick auf die Verspieltheit des Lebens erhascht.
Wenn ich Wolken sehe, die von einem schneebedeckten Gipfel fortgewischt werden, möchte ich rufen: „Bravo!“ Die Natur, größte aller Magierinnen, hat soeben eine neue Attraktion vorgeführt. Sie hat die eigentliche Illusion aufgedeckt: unsere Unfähigkeit, über ihre Wunder zu staunen. Jedes mal wenn die Sonne aufgeht, wiederholt die Natur denselben Befehl: „Sieh hin!““ (Michael Jackson, Danding the dream, doubleday 1992, Übersetzun: d.A.)
Das klingt, als hätte die Natur den Wunsch zu gefallen. Erster Impuls: Lachhaft!
Doch diesmal werde ich nicht vorschnell von Romantisierung sprechen, sondern mich einlassen. Was ich erlebe, muss überhaupt nicht faktisch korrekt oder auf einer Metaebene ironisch distanziert sein. Es muss lediglich menschlich wahr sein. Ich darf meinen Deutungshorizont frei wählen.
Nehme ich also für den Moment einmal an, Natur bringt sich per se selbst zum Ausdruck und will dabei gesehen werden, was gleichbedeutend ist mit: sich selbst bewusst erleben. Denn wer oder was auch immer hinsieht, ist Teil dieser Natur.
Wenn ich unter dieser Prämisse hinsehe, kommen in der Natur im Größten wie im Kleinsten und wie in nichts, was ich über sie erhaben fühlt, die Prinzipien des Lebens in kreativem Überschwang zum Ausdruck. Und die Prinzipien des Sterbens in Klarheit und Akzeptanz. Damit kann ich durchaus etwas anfangen, auch als Vorbild für das, was es in der Kunst überhaupt zu erreichen gilt.
Wirklich gravierende Kunst lehrt, mich für die bezwingenden Aspekte des Lebens zu öffnen statt sie zu rationalisieren. Sie richtet meinen Blick neu aus. Der Alltag ist von Ablenkung bestimmt, ich springe von Sorge zu Sorge, von Rolle zu Rolle, von der Vergangenheit in die Zukunft und zurück. Ständig verliere ich den Moment aus den Augen. Dabei ist der Moment doch der einzige Ort, an dem Erkenntnis und Magie zusammenkommen können. Und Michael Jackson zwingt mich dazu, in den Moment zu kommen und Magie/Nichtbegreifen zuzulassen.
Den Gesetzen der Thermodynamik entkommen
In The Wiz (1977), einer großstädtischen, komplett schwarz besetzten Adaption des Wizard of OZ (der ja bekanntlich ein Betrüger ist), spielt der damals 19jährige Jackson die Vogelscheuche. Sein Kopf ist nicht mit Stroh, sondern mit Zitaten der Philosophiegeschichte gefüllt. Aufgehängt an ihrem Gestell singt die Vogelscheuche den Krähen zu deren gehässigem Vergnügen immer wieder die „Spielregeln des Lebens“ vor, die nichts weiter sind, als eine Umschreibung der drei Gesetze der Thermodynamik:
Energie kann nicht gewonnen oder zerstört werden: You can´t win.
Energieumwandlung findet immer von schnell/warm Richtung langsam/kalt statt: You can´t break even.
Alles endet unausweichlich im vollkommenen Energiegleichgewicht, in dem nichts mehr bewegt oder verändert werden kann: You can´t get out of the game.
Die Aussicht, dass das Universum mit all seinen Sternen, Galaxien, leuchtenden Filamenten und tiefdunklen Voids einmal den Wärmetod sterben wird, ist konsequent pessimistisch. Die Vogelscheuche ist entsprechend hoffnungslos, ihr Schicksal je ändern zu können – bis Dorothy (Diana Ross) ihr zeigt, dass es durchaus möglich ist, aus dem Spiel auszusteigen:
Man muss dazu selbst Energie aufbringen, selbst etwas bewegen. So entsteht, entgegen aller Wahrscheinlichkeit, magisches Momentum. Das hilflose Geschöpf steht plötzlich auf eigenen Beinen und macht sich, die leuchtend gelbe Ziegelsteinstraße vor Augen, auf den Weg, um sich selbst zu erschaffen.
Den Blick unscharf stellen
Kunst ist ein Scheinwerfer, der einen gangbaren Weg aus dem Allem/Nichts hervorzaubert. Die Verengung des Blicks führt zu einer Vertiefung der Wahrnehmung. Das ist der Punkt, an dem Verstehen einsetzt: ein fokussierter Blick definiert nicht nur das, was ich sehe, sondern auch meine Identität. Ich werde, was ich sehen kann. Sei es eine Vogelscheuche voll papierner Zitate – oder ein weißglühender Stern von hoher Gravitation.
Um den Fokus frei wählen zu können, muss der Blick jedoch zuerst bedingungslos offen und das Bild verschwommen sein.
Es ist eine interessante Erfahrung, mit absichtlich unscharfem Unterwasserblick herumzulaufen und dabei nicht die Dinge, sondern den Raum dazwischen zu betrachten. Man beginnt dann Rhythmen zu sehen, Muster, Tänze. Eine gewisse Schwerelosigkeit stellt sich ein, und das Bewusstsein weitet sich, wie der Blick, über das Ich hinaus. Man erlebt dann die Magie des unmittelbaren Lebensausdrucks, ohne ihn sogleich interpretieren und Dinge oder Umstände benennen zu müssen. Das ist der ultimativ kindliche Blick.
Je mehr Erziehung und Bildung man jedoch anhäuft, desto schwieriger wird es jedoch, den unmittelbaren Ausdruck überhaupt noch für relevant zu halten. Als Künstler bekommt man dann vielleicht das Gefühl, möglichst brillante Strategien erfinden zu müssen, um vom Publikum zu bekommen, was man braucht: Resonanz.
Dann wird der Lebensausdruck zu einem Ausdruck des Kampfes um Anerkennung. Wie sonst könnte man als Mensch, geschweige denn als Künstler überleben?
Wenn man es auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringt, dann bedeutet Überleben, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie in diesem Moment sind und angemessen zu reagieren. Wer von vornherein einen Tunnelblick hat, wer den Fokus zu früh setzt, dem entgehen nicht nur die Gefahren, die sich vom Rand her nähern, sondern auch die Weite des Horizonts.
Echte Magier müssen darum bedingungslos offen sein, unschuldig, urteilslos, unabhängig von dem festen Standpunkt, der letztlich nichts als eine Verteidigungsanlage ist: Schließt man sich in eine Festung aus Denkmustern und festgelegten Reaktionen ein, werden die schöpferischen Impulse ausgeschlossen.
Es liegt darum eine tiefe Wahrheit im Unmittelbaren. Es braucht jedoch Hingabe, Talent und die mit allen Mitteln verteidigte Naivität eines Michael Jackson, um vom unschuldig-dilettantischen Ausdruck über Übung, Technik, Bühnentricks und Geltungsdrang auf einer höheren Ebene zum unmittelbaren Ausdruck zurückzufinden. Jackson ist das gelungen, auf höchstem handwerklichem Niveau. Gelingt es nicht, bleibt man bei bloßem Kunsthandwerk stehen.
In den Leib zurückfinden
Ein Barkeeper beobachtet einen Betrunkenen, der auf allen Vieren um eine Straßenlaterne herumrutscht. Er geht hinaus und fragt den Mann:
„Suchen Sie etwas?“
„Meine Schlüssel!“
„Haben Sie sie hier verloren?“
„Nein. Aber woanders ist es zu dunkel zum Suchen.“
Falls ein Witz funktioniert, entlädt sich mit der letzten Zeile nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper die zuvor aufgebaute Spannung. Die Schlusswendung muss zugleich überraschend und zwingend sein, damit Verstand und Atmung (als Schnauben oder Lachen) sich daran erfreuen können.
Wenn eine künstlerische Arbeit als komplex gilt, ist damit häufig gemeint, dass sie sich weniger an den Leib und mehr an den Verstand richtet. Darum ist „Pop“ „schlicht“ und „Komposition“ mitunter „anspruchsvoll“. Gerade in der sog. hohen Kunst wird dem Geist der Vorzug vor dem Leib gegeben; er soll sich gefälligst über das träge, wollüstige und sterbliche Fleisch erheben. Das eigentlich Menschliche wird dort vermutet, wo der Leib so wenig wie möglich eine Rolle spielt.
Der Leib ist jedoch nicht hintergehbar, in keiner Kunst. Ohne ihn läuft gar nichts, und Jackson hat das gewusst. Wenn er in der Panther-Dance-Sequenz (der unzensierten Version) des Black or White Videos unter Schreien und masturbatorischen Bewegungen das amerikanische Ghetto zu Klump schlägt, ist das weniger eine Huldigung von Sex & Crime als ein Tribut an den Leib als dem ersten und besten Ausdrucksmittel von Intensität, vorgetragen in einer musique concrète aus tierhaften Lauten, stampfenden Füßen, Atmung, Schreien, Wasser, klirrendem Glas, elektrischem Knistern. Der Gestus ist nicht Pop, sondern Avantgarde, und es handelt sich um die kontrollierte Entladung einer Spannung, die sich 1992 unter dem Druck der Rassenunruhen in LA zusammengebraut hatte.
Es kann passieren, dass man, wie ich, bei ungeschützter Betrachtung erstmal eine Gewischt bekommt, auf die eigenen, unerwartet heftigen Reaktionen zurückgeworfen wird: Befremden, Faszination, Fragezeichen.
Echte Magier folgen den leiblichen ebenso wie den mentalen Erregungen und bringen sie konsequent zum Ausdruck, und solange ein Werk ausschließlich den Verstand herauszufordern versucht, werde ich nur unter der Straßenlaterne suchen, dort, wo vermeintlich das Licht des Verstandes scheint. Sobald ich als ganzer Mensch bewegt werde, bin ich bereit, ein Wagnis einzugehen und die Schlüssel auch im Dunkeln zu suchen.
In die Wut hineinwachsen
Earth Song ist keine Weltverbesserungshymne, sondern ein verzweifelter Abgesang, ein Verlust des Glaubens an das Gute im Menschen. Dennoch wird auch hier die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben. Wenn im Short Film zum Earth Song am Ende all das zuvor inszenierte Sterben – hingeschlachtete Tiere, Menschen, Bäume – durch die Macht der Musik „ungeschehen“ wird, dann ist das ein schamanischer Akt, eine Umkehrung der thermodynamischen Gesetze. Jackson tritt im zerfetzten Kostüm auf, einer Vogelscheuche gleich, doch diesmal hat er keine schwächlichen Gummibeine, klammert sich nicht hilflos an seinen Vogelscheuchenpfahl, sondern er stampft, insistiert, wütet.
They don´t care about us ist auch keine Anbiederung an die unterdrückten Massen, sondern eine sowohl rhythmisch als auch textlich zornige Anklage der Profiteure der Gleichgültigkeit. Jackson ist als schwarzes Unterschichtkind durchaus Zeuge von Straßenkämpfen gewesen. Mehr als auf solche frühen Erinnerungen bezieht Jackson die police brutality, von der er singt, jedoch auf ganz frische Erinnerungen – auf die sogenannte Strip Search: Zum Vergleich mit den Beschreibungen eines angeblichen Missbrauchsopfers musste Jackson seine Genitalien ablichten lassen.
Das gesamte HIStory-Album ist Reaktion auf diese Anschuldigungen, Jackson ist hier so verletzlich und so aufgebracht wie nie zuvor. Die Strip Search Bilder bewiesen, dass der Junge Jackson niemals nackt gesehen haben konnte.3 Dennoch hat Jackson in eine finanzielle Einigung eingewilligt, denn in einem Prozess wären die Bilder als Beweismittel öffentlich gemacht worden. So jedoch blieben sie unter Verschluss. Dies ist der eine Widerspruch in Jacksons Biografie, mit dem er nicht fertig werden konnte, das eine Mal, dass er ganz unzweideutig die Wahrheit sagen wollte. Dass man ihm nicht geglaubt hat, mag daran liegen, dass er, statt reumütig seiner Hingebung ans Kindsein abzuschwören, insistierte: Ich tue nichts Falsches, und darum werde ich es nicht lassen und euch bigotten Spießern damit recht geben.
Stranger in Moscow schließlich erzählt nicht von der Angst vor Kommunisten, sondern von der tiefen Entfremdung, die Jackson nach den Anschuldigungen durchlitten hat, von Einsamkeit, wenn es keinen Ort mehr gibt, an den man gehen kann. Der Song ist während der Dangerous-Tour in einem Moskauer Hotelzimmer entstanden. Die Ironie: zehn Jahre zuvor war Jackson der beliebteste Popstar auf dem Planeten gewesen, durfte in der UdSSR aber nicht auftreten. Jetzt war er der erste westliche Star, der im Osten Konzerte gab, doch in den USA, seiner Heimat, war er zum Geächteten geworden.
Geister, die man ruft
Die Wut über Gier, Zerstörung und Ungerechtigkeit, die Jackson nach 1993 zunehmend in seiner Arbeit ausdrückt, erscheint mir jetzt nicht mehr als bloßer Gestus, sondern aufrichtiger und gerechtfertigter als bei einigen Punk-, Rock- oder Metal-Größen, für die expressive Aggressivität von vornherein zum guten Ton gehört. Doch obwohl ich zunehmend Respekt für den Künstler und Menschen Michael Jackson empfinde, es bleibt ein Rest, ein Misstrauen gegenüber seinen schwer verständlichen Selbstinszenierungen.
Bis mir Ghosts (1996), ein 40 Minuten langer Musik-Film, in die Hände fällt, eine erneut ambivalente Inszenierung zwischen Selbstüberhöhung und Ironie, zwischen Plakativität und Vielschichtigkeit, zwischen Anklage und Empathie mit dem Feind.
Jackson spielt den Maestro, der sein Publikum mit einem Fingerschnippen unter Kontrolle hat. Was immer er es sehen lassen will, seien es wundersam poetische Momente oder groteske Entstellungen, es ist ihm ein Leichtes. Er prahlt mit gigantischer Zunge von seiner erschreckenden Potenz, gibt mit bröckelnder Nase ihren Verlust vor. Dem Publikum graut vor ihm, und dennoch kann es in seiner Gier nach Erregung nicht wegsehen. Am Ende des Films dann die große Sterbeszene – der Unverstandene wird von einem rechtschaffenden Bürgermeister (ebenfalls von Jackson gespielt; ja er schlüpft erst einmal in die Mokassins seines Gegners, bevor er urteilt .. ) in die Selbstauslöschung getrieben.
Vielmehr als eine Anklage gegen die Ungerechtigkeit der Welt, die Jackson nicht verstehen will, ist Ghosts jedoch ein Lehrstück über das erweiternde Potential von Kunst. You´re right, I like scaring people, erklärt der Maestro dem Bürgermeister auf dessen Vorwurf, er sei ein unheimlicher Kinderschreck.4 Der Bürgermeister droht mit Gewalt, der Maestro wählt die einzige Waffe, die ihm zur Verfügung steht: Bühnenmagie. Er inszeniert eine poetische Horror-Tanz-Show für sein Publikum, um es für sich einzunehmen.
Jackson zeigt dabei nicht nur das Bühnengeschehen, sondern er inszeniert auch das Publikum (wie schon zuvor in den Short Films zu Beat it und BAD), und der Lynchmob, der gekommen ist, um den Maestro zu vertreiben, beginnt nach und nach das Schöne im Grotesken zu erkennen.
Nur den Bürgermeister kann der Maestro nicht bezaubern. Selbst, als er in dessen Körper eindringt und ihn fühlen lässt, was es bedeutet zu tanzen, kann er nicht zur Offenheit des Erlebens zurückfinden. Der Künstler hat versagt und zieht die Konsequenz: Er stirbt. Und der rechtschaffene Bürgermeister wähnt sich als Sieger in einem Kampf, in dem er eine ebenso selbstzufriedene wie lächerliche Figur abgegeben hat. Nur der ehemalige Lynchmob bereut es nun, dass der Maestro nicht mehr ist.
Und ist es am Ende nicht ganz genau so ausgegangen? Jackson hat bereits in den 1980er Jahren mit von ihm selbst lancierten, absurden Geschichten5 begonnen, mit den Medien und seinem Image zu spielen – und hat damit Geister auf den Plan gerufen, die ihn letztlich zu Tode gehetzt haben.
Das ist der Punkt, an dem ich zu heulen beginne. Nicht so ein bisschen, weil das rührend ist, wie prophetisch Ghosts die Realität vorwegnimmt, sondern heftig, anhaltend, bis es körperlich wehtut, heimlich und über Wochen. Ich weiß niemanden, dem ich das Ausmaß dieser Verwirrung anvertrauen könnte. Wie soll ich erklären, warum ich so sehr um jemanden trauere, dem ich nie im Leben begegnet bin, den ich die meiste Zeit über nicht einmal mochte? Ich beginne zu ahnen, dass ich um lauter Dreifaltigkeiten weine: Glaube/Liebe/Hoffnung, das Wahre/Gute/Schöne, Blut/Schweiß/Tränen. Ich weine wegen dieser dreimal verfluchten drei Gesetze der Thermodynamik, um die Magie und die zwei Seiten des Tricksters. Und ich wüte gegen all die ordentlichen Bürgermeisterlein, die achtlos zerstören, was sie nicht begreifen und sich dabei gebärden, als erwiesen sie der Menschheit einen Dienst.
Nach Hause kommen in einer neuen Haut
Am Ende der Wohltätigkeitsveranstaltung in der deutschen Großstadt erscheint auf der Opernfreitreppe eine ansehnliche Menge professioneller Sängerinnen und Sänger in großer Robe, die die Fans auf dem Platz beim abschließenden Absingen von We are the World unterstützen. Es regnet schon wieder, und schon wieder in Strömen. Dennoch hat der Chor Kraft, und alle bleiben, bis der letzte Ton verklingt.
Unmittelbar danach setzt allgemeines Rennen rein, wird Schutz gesucht in Cafés und unter Arkaden und im ausrangierten Militärzelt der Michael Jackson Fans, in dem heute Devotionalien für den guten Zweck versteigert wurden.
Gerade eben war ich noch Teil eines Gemeinschaftskörpers gewesen, alle Kehlen haben in Resonanz miteinander geschwungen. Und nun stehe ich im Eingang des Zeltes und schaue auf den leeren Platz. Innerhalb einer Minute hat die Menschenmenge, zuvor zusammengehalten von der Gravitation ihres Sterns, sich aufgelöst. Der Tag weicht, der Regen trommelt eintönig aufs Zeltdach.
„Wollen wir uns auf den Rückweg machen?“, fragt meine Freundin.
„Ja, bitte.“
Ich bin schweigsam auf der Rückfahrt, fühle mich vage schuldig, ohne sagen zu können, warum. Es ist leicht, auf die verkleideten Fans hinabzulächeln – auf die junge Frau, die mit weiß angemaltem Gesicht und grellroten Lippen aussieht wie eine bösartige Jackson-Parodie, und den dicklichen Mann im schweißig müffelnden Michael-Outfit aus billigster Synthetik. Es ist leicht, sie zu bedauern, weil sie ihren Lebenssinn in der Hülle eines andern suchen, einer Hülle, die nicht sitzt und passt, und durch die sie eine tragikomische Note bekommen. Get a life, möchte man sagen.
Aber etwas verbietet mir, so zu urteilen: Es sind heute mehrere Tausend Euro für ein Kinderhilfsprojekt gesammelt worden. Das ist konkret, weit konkreter als jede intellektuelle Distanz, die die Anziehungskraft eines Künstlers oder die Hingabe seiner Bewunderer zu analysieren versucht. Und wie vermessen ist es, auf einen Akt unmittelbarer Menschlichkeit mit Überheblichkeit zu reagieren?
Michael Jackson hält bislang den Weltrekord als Investor für humanitäre Zwecke. Mit rund 319 Mio. Dollar hat er das größte private Vermögen investiert, und weltweit tun Fans nichts weniger, als dem nachzueifern und etwas fortzuführen, was sie als die ihnen überlassene Aufgabe verstehen. If you wanna make the world a better place, take a look at yourself and make a change, singt Jackson.
Jenseits allen Spott und Hohns über unpassende Verkleidungen, schlecht sitzende Perücken, Spekulationen über die Anzahl plastischer Operationen oder sexuelle Orientierung steht dieses schlichte Tätigsein im Dienst der Mitmenschlichkeit.
Jacksons war ebenso viel in Waisen- und Krankenhäusern unterwegs, wie er Konzerte gegeben hat. Sein ehemaliger Manager Frank Dileo, der ihn dabei gelegentlich begleitet hat, erzählte einmal, wie er sich weinend in einer Ecke wiederfand, weil er nicht mit dem emotionalen impact gerechnet hatte, den das Kinderelend auf ihn haben würde. Jackson, selbst ganz gefasst, hat ihn daraufhin beiseite genommen und erklärt, das hier, das sei ihre eigentliche Arbeit. All das andere finanziere sie nur. Die Einnahmen aus We are the World, so eine Schätzung, haben bisher etwa 260.000 Menschen ganz konkret das Leben gerettet. Wirkliche Sterne brennen zu einem einzigen Zweck: Leben zu ermöglichen und es lebenswert zu machen. Und möglicherweise ist das jeden Preis wert.
Darum genügt es nicht, dem Schamanen aus ethnologischer Distanz anerkennend auf die Schulter zu klopfen und zuzuschauen, wie er, Heilung herbeisingend, ums Feuer tanzt. Es genügt auch nicht, sich das Gewand des Magiers überzustreifen. Verstehen bedeutet, den Künstler nicht bloß brennen zu lassen, sondern mitzubrennen. Sich von solch einer Gravitation zerquetschen zu lassen heißt, neue Lebenskeime entstehen zu lassen. Ob die sich in eigenem künstlerischen Ausdruck, einer hilflosen Verkleidung oder in handfesten Zahlen manifestiert, sei dahingestellt. Einen Künstler und seine Arbeit ernst zu nehmen bedeutet, sich auf die mitunter schmerzhafte Verwandlung einzulassen, die sie fordern. Es bedeutet, nicht länger die Lebensregeln der Hoffnungslosigkeit herzubeten und endlich von der bequemen Vogelscheuchenstange herunterzukommen und sich auf einen Weg zu machen.
In Ghosts gibt es ein Happy End: Maestros Tod war nur ein weiteres Stückchen Bühnenmagie. Er kehrt zurück, der Bürgermeister springt vor Schreck aus dem Fenster, der Staffelstab wird an die Kinder weitergegeben, die nun selbst ausprobieren, wie man am besten Leute erschreckt.
Genau so wird man vom bloßen Zuschauer selbst zum Magier: Man geht durch Angst und Hoffnungslosigkeit hindurch und kommt auf der anderen Seite als jemand heraus, der unter Wasser atmen kann.
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