"Du fühlst nichts, du besitzt nichts": bewegender Beitrag zur Flüchtlingsdiskussion
Aktualisiert am 26. August 2015, 22:34 Uhr
Es ist ein bemerkenswerter Beitrag zur Flüchtlingsdiskussion in
Deutschland: Christina Beckmann, eine Autorin aus Hamm in Westfalen, hat
in einem offenen Brief die Leiden von Flüchtlingen dargestellt. Ihre
Zeilen gehen unter die Haut.
Christina Beckmann hat folgende Zeilen auf ihrem privaten Facebook-Profil gepostet -
tausendfach wurde der Beitrag in den vergangenen Tagen geteilt. Die
Autorin, deren geschäftlichen Facebook-Auftritt Sie hier finden
, war von den Reaktionen überwältigt - das Gleiche darf man von den
Lesern ihrer Zeilen sagen. Sehr, sehr viel Zuspruch hat Beckmann für
ihren Beitrag erhalten. Wir veröffentlichen folgend ihren Text
unverändert und im Original:
Die kommen doch nur her, um sich hier aushalten zu lassen! Richtig?
Dubist 29 Jahre alt und hast eine Frau, zwei Kinder und einen Job. Du
kommst über die Runden. Du kannst dir auch mal was leisten, und lebst in
einem kleinen Häuschen in der Stadt. Plötzlich ändert sich die
politische Lage in deinem Land und ein paar Monate später stehen
Soldaten vor deinem Haus. Und vor den Häusern der Nachbarn. Sie sagen,
wenn du nicht für sie kämpfst, erschießen sie dich. Dein Nachbar weigert
sich. Ein Schuss. Das wars.
Du hörst, wie einer der Soldaten zu deiner Frau sagt, dass sie die Beine breit machen
soll. Du schaffst es irgendwie, die Soldaten erstmal loszuwerden und
denkst die halbe Nacht lang nach. Auf einmal hörst du einen Einschlag.
Dein Haus hat kein Wohnzimmer mehr. Ihr rennt raus und seht, dass die
ganze Straße zerstört ist. Kein Stein steht mehr auf dem anderen. Du
bringst deine Familie zurück ins Haus und rennst an die Stelle, an der
das Haus deiner Eltern stand. Es ist nicht mehr da. Deine Eltern auch
nicht. Du siehst dich um und entdeckst einen Arm mit dem Ring deiner
Mutter am Finger. Der Rest deiner Eltern ist nichtmal mehr auffindbar.
Aber die Asylanten haben so viel Luxuszeug! Smartphones, Markenklamotten und so! Richtig?
Du denkst jetzt nicht mehr nach. Du rast nach Hause und rufst, deine Frau
soll die Kinder anziehen. Du schnappst dir eine kleine Tasche, denn mehr
könnt ihr auf die Dauer nicht tragen, und packst das Nötigste. Nur je 2
Kleidungsstücke pro Kopf passen in die Tasche. Was nimmst du mit??? Du
wirst deine Heimat vermutlich nie wiedersehen. Deine Familie nicht,
deine Nachbarn nicht, deine Arbeitskollegen ... Aber wie sollst du in
Kontakt bleiben? Hektisch wirfst du also dein Smartphone und das
Ladekabel in die Tasche. Dazu von jedem ein paar Klamotten, etwas Brot
und das Lieblingskuscheltier deiner kleinen Tochter.
Die können sich die Flucht doch locker leisten. Dann sind die auch nicht arm!
Für den Notfall, denn man hat es kommen sehen, hast du all dein Geld
bereits zusammengekratzt. Durch deinen recht gut bezahlten Job hast du
etwas auf der Seite gehabt. Pro Kopf kostet der nette Schlepper von
nebenan schlappe 5000 Euro. Du hast 15.000. Wenn du Glück hast, können
alle mit. Wenn nicht, musst du dich von deiner Frau trennen. Du liebst
sie und betest, dass sie euch alle mitnehmen. Spätestens jetzt bist du
vollkommen blank und hast nichts mehr. Nur deine Familie und die Tasche.
Die Flucht bis zur Landesgrenze dauert zu Fuß zwei Wochen.
Du hast Hunger und seit einer Woche kaum etwas gegessen. Du bist schwach,
genau wie deine Frau. Aber Hauptsache die Kinder haben genug. Sie weinen
die ganzen 2 Wochen über. Die Hälfte der Zeit musst du deine kleinste
Tochter tragen. Sie ist erst 21 Monate alt.
Nach weiteren 2 Wochen seid ihr am Meer. Ihr werdet mitten in der Nacht mit hunderten anderer
Flüchtlinge auf ein Schiff geladen. Du hast Glück. Deine ganze Familie
darf mit. Das Schiff ist so voll, dass es zu kentern droht. Du betest,
dass ihr nicht ertrinkt. Die Leute um dich herum weinen, schreien. Ein
paar kleinere Kinder sind verdurstet. Die Schlepper werfen sie über
Bord. Deine Frau sitzt teilnahmslos in einer Ecke. Sie hat seit 2 Tagen
nichts getrunken. Als die Küste in Sicht ist, werdet ihr auf Beiboote
verteilt.
Deine Frau und deine Kleinste auf eins, und du und die
Große auf das daneben. Ihr werdet ermahnt, die Klappe zu halten, damit
euch niemand kommen hört. Deine Große versteht das. Deine kleine im
Nebenboot nicht. Sie hört nicht auf zu weinen. Die anderen Flüchtlinge
werden nervös. Sie halten deine Frau an, das Kind ruhig zu stellen. Sie
schafft es nicht. Einer der Männer packt deine Tochter, entreißt sie
deiner Frau, und wirft sie über Bord. Du springst hinterher, aber du
findest sie nicht mehr. Nie mehr.In 3 Monaten wäre sie 2 Jahre alt
geworden.
Das reicht euch noch nicht?! Die habens hier immer noch zu gut und kriegen alles in den Arsch geschoben?
Wie du, deine Frau und deine große Tochter es in das Land, das euch
aufnimmt, geschafft haben, weißt du nicht mehr. Alles ist wie in Watte
gepackt. Deine Frau hat seit dem Tod eurer Tochter nicht mehr
gesprochen. Deine Große hat seitdem das Kuscheltier der kleinen auf dem
Arm und ist völlig apathisch. Du musst durchhalten. Ihr seid gleich an
der Notunterkunft angekommen. Es ist 22 Uhr. Ein Mann, dessen Sprache du
nicht sprichst, führt euch in eine Halle mit Feldbetten. Dicht an dicht
stehen sie. 500 Stück. In der Halle ist es stickig und laut. Du
versuchst dich zu orientieren. Zu verstehen, was die Menschen dort von
dir verlangen. Aber eigentlich kannst du kaum noch stehen. Eigentlich
wünscht du dir fast, sie hätten dich erschossen. Stattdessen packst du
deine Habseligkeiten aus: Je zwei Teile für jeden, und dein Smartphone.
Dann verbringt ihr die erste Nacht in einem sicheren Land. Am nächsten
Morgen wird Kleidung an euch verteilt. Auch Markenklamotten sind unter
den Spenden. Und ein Spielzeug für deine Tochter. Du bekommst 140 Euro.
Für den ganzen Monat.
Die sind doch jetzt hier sicher. Also sollen die sich freuen!
Draußen im Hof hältst du in deinen neuen Klamotten dein Smartphone in die Luft
und hoffst auf Empfang. Du musst wissen, wer aus deiner Stadt noch lebt.
Dann kommt ein "besorgter Bürger" vorbei und beschimpft dich. Du weißt
nicht, wieso. Du verstehst was von "Zurück in dein Land!" Bruchstücke
von "Smartphone" und "alles in den Arsch gesteckt' bekommst du noch mit.
Irgendwer konnte es übersetzen.
Und jetzt sag mir, wie du dich fühlst und was du besitzt.
Die Antwort auf beide Fragen ist:" NICHTS!"
http://web.de/magazine/politik/fuehlst-b…ussion-30876350
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